Die Seidenbaronin (German Edition)
sich wieder in die Zeilen der Prinzessin.
«Übrigens war auch unser guter Karl Alexander unter den Gästen», schrieb Therese. «Er ist ein wirklich hartnäckiger Verehrer, der sich durch meine Abweisung nicht einschüchtern lässt. Aber Sie, liebste Freundin, wissen ja nur zu gut, dass dieser junge Mann ganz und gar nicht meinen Wünschen entspricht. Er ist eben nichts anderes als ein ungehobelter Emporkömmling aus der Provinz. Wie kann er sich nur einbilden, dass ich an seinen hinterwäldlerischen Hof ziehen werde? Nun, glücklicherweise würde meine Großmutter einer Verbindung mit ihm niemals zustimmen …»
Therese ließ sich lang und breit über Karl Alexander aus, der ihr schon eine ganze Weile den Hof machte und so vermessen war, sich Chancen bei ihr auszurechnen.
«Ich hoffe, es dauert nicht mehr allzu lange, bis Sie endlich auf Schloss Braunshardt eintreffen», lauteten die letzten Zeilen. «Ich vermisse Sie unendlich, liebste Freundin. Ohne Sie ist alles nur halb so amüsant!»
Am nächsten Tag begab Paulina sich unter einem Vorwand ins Darmstädter Palais der Gräfin Bahro. Ihre Großtante saß gerade beim Tee, und nachdem man ein paar Höflichkeitsfloskeln ausgetauscht hatte, sagte Paulina beiläufig: «Ich hörte, dass Ihr Enkelsohn aus Mecklenburg Sie nach Darmstadt begleitet hat.»
Die Gräfin Bahro blickte erstaunt auf.
«Wie ist dir denn das zu Ohren gekommen?», fragte sie streng. «Du scheinst im Hause deines Großvaters ja über gut informierte Quellen zu verfügen, denn ich kann mich nicht erinnern, dir Herrn von Bahro vorgestellt zu haben.»
«Ich erhielt einen Brief von Therese, und darin erzählte sie mir von Ihrem Enkelsohn», erklärte Paulina mit Unschuldsmiene. «Er war auf dem Fest in Braunshardt und hat dort Aufsehen erregt.»
«Das glaube ich gerne», sagte die Gräfin nicht ohne Stolz. «Christian ist ein wunderbarer junger Mann, der eine vielversprechende Zukunft vor sich hat. Sein Vater setzt große Hoffnungen in ihn.»
«Wird Ihr Enkelsohn länger in Darmstadt bleiben?» Paulina versuchte, nicht allzu neugierig zu wirken. Dabei brannte sie mittlerweile darauf, mehr über den jungen Mann aus Mecklenburg zu erfahren, dessen Augen die Farbe von leuchtendem Bernstein hatten.
«Christian wird mich in die Pfalz begleiten und von dort aus zu einer Bildungsreise aufbrechen.» Die alte Dame wurde ein wenig zugänglicher und lächelte versonnen. «Er ist also nicht unbemerkt geblieben. Es passt zu ihm, dass er nach Höherem strebt. In dieser Beziehung kommt er ganz nach seinem Vater. Von all meinen Enkelkindern ist Christian mir besonders ans Herz gewachsen.»
«Er muss ein ganz außergewöhnlicher Mensch sein, wenn er es geschafft hat, Thereses Aufmerksamkeit zu wecken», sagte Paulina, die sich durch den ungewohnt intimen Charakter der Unterhaltung zu Vertraulichkeiten hinreißen ließ.
Die Gräfin Bahro erstarrte. «Was willst du damit sagen? Hat Christian ihr etwa den Hof gemacht?»
Paulina war sich sofort bewusst, dass sie mit ihrer leichtfertigen Äußerung einen Fehler begangen hatte. «Davon kann keine Rede sein. Die beiden haben nur miteinander getanzt!»
Die Gräfin Bahro rang die Hände. «Nun, ich hoffe inständig, dass es sich darauf beschränkt hat.» Sie seufzte tief. «Es geht hier um Angelegenheiten, bei denen schon ein einziger missverständlicher Satz, eine einzige falsche Geste weitreichende Folgen haben kann. Prinzessin George ist gerade dabei, für Therese eine Verbindung mit Prinz Georg, dem englischen Thronfolger, zu arrangieren. Die Verhandlungen erweisen sich als äußerst schwierig, obwohl die englische Königin Thereses Tante ist. Gerüchte über eine mögliche Liaison Thereses würden sich nicht gerade vorteilhaft auf den Fortgang der Gespräche auswirken. Zumal Therese bisher als sehr zugeknöpft galt. Sie hat bereits etliche Heiratsanträge abgelehnt.»
Paulina hatte den Ausführungen der Gräfin mit wachsendem Interesse zugehört. Es stimmte also, was man allerorten munkelte. Therese sollte tatsächlich den Sohn des Königs von England heiraten. Wenn die Verbindung zustande kam, würde Paulina am englischen Königshof leben. Sie, die kleine Baroness von Gralitz, als Hofdame der zukünftigen Königin von England! Was für ein Aufstieg für die Enkelin des in Ungnade gefallenen Barons Dornfeld!
«Prinz Georg könnte sich gekränkt fühlen, wenn er erführe, dass die für ihn vorgesehene Frau sich mit unstandesgemäßen Liebeleien die Zeit
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