Die Seidenbaronin (German Edition)
Krönungstag wenigstens einen winzigen Blick auf unseren zukünftigen Kaiser erhaschen.»
Paulina lächelte verschmitzt. «Und wenn ich Ihnen sage, dass mein Logenplatz im Palais Thurn und Taxis ist?»
«Junge Dame, ich habe heute keine Zeit für Scherze. Wollen Sie also bitte so freundlich sein, mir zu verraten, weshalb Sie hier sind?»
«Ich habe nur eine kurze Frage: Wo gedenken Sie die Familie des Grafen Bahro einzuquartieren?»
Der Quartiermeister musterte sie misstrauisch. «Ich hoffe, Sie sind nicht gekommen, um mich dazu zu bringen, die Zuteilung zu verändern?»
«Gott bewahre! Ich möchte lediglich wissen, wo die Familie Bahro während ihres Aufenthaltes in Frankfurt wohnen wird. Es handelt sich um meine Verwandten, und ich brenne darauf, sie zu sehen.»
Der Quartiermeister begann, in dem Buch zu blättern, und fuhr mit seinem wurstigen Zeigefinger über die Seiten. «Gewöhnlich erteile ich diese Auskünfte nicht. Aber in Ihrem Fall werde ich eine Ausnahme machen … Bahro … Bahro … Es tut mir leid, gnädiges Fräulein, ich habe hier niemanden mit Namen Bahro.» Er sah zu ihr auf. «Sind Sie sicher, dass Graf Bahro zum Gefolge des Kurfürsten von Hannover gehört?»
«Natürlich bin ich sicher!», rief Paulina ungeduldig. «Schauen Sie bitte noch einmal genauer nach!»
Der gute Mann schlug weitere Seiten um und murmelte dabei vor sich hin. «Halt! Hier ist er! Graf Ulrich von Bahro! Ich habe ihn auf den vorderen Seiten nicht gefunden, weil er schon längst einquartiert ist!»
Paulina stutzte. «Was soll das heißen?»
«Das ist ganz einfach, gnädiges Fräulein. Ich führe genau Buch darüber, wann die Gäste meines Quartiers in Frankfurt eintreffen. Wer schon in Frankfurt ist, kommt sofort in die hintere Liste. Und Graf Bahro ist schon in Frankfurt.»
«Er ist schon in Frankfurt?», rief Paulina fassungslos. «Wie lange?»
Der Quartiermeister warf einen erneuten Blick in sein Buch. «Seit dem 10. August, junge Dame!»
Paulina glaubte, nicht richtig gehört zu haben. Christian war schon seit sieben Tagen in Frankfurt und hatte sie weder aufgesucht noch hatte er ihr eine Nachricht zukommen lassen? Dabei waren sie doch so glücklich darüber gewesen, sich anlässlich der Kaiserkrönung nach über einem Jahr endlich wiedersehen zu können!
Verwirrt fragte sie den Quartiermeister, wo der Graf abgestiegen sei. Der gute Mann nannte ihr den Namen eines, wie er betonte, wohlhabenden und stadtbekannten Kaufmannes.
Vielleicht hat Christian noch keine Gelegenheit gefunden, mir eine Nachricht zu schicken, redete Paulina sich ein. Am besten suche ich gleich morgen unter einem Vorwand die Gräfin Bahro auf.
Sie wandte sich zum Gehen, worauf der Quartiermeister sich wieder in seine Listen vertiefte.
«Was mache ich nur mit den Prinzessinnen aus Mecklenburg und ihrem Bruder?», brummelte er vor sich hin.
Luise und Friederike! Auch den beiden Freundinnen aus vergangenen Darmstädter Tagen würde Paulina in Frankfurt wiederbegegnen. Wie hatten ihr die lebenslustigen, unbeschwerten Prinzessinnen in Regensburg gefehlt!
Sie drehte sich noch einmal um. «Wären sie nicht die geeigneten Gäste für Frau Rat Goethe?», schlug sie vor.
Ohne von seinem Buch aufzuschauen, streckte der Quartiermeister seinen fleischigen Zeigefinger in die Luft. «Eine wirklich gute Idee, gnädiges Fräulein! Frau Rat wird hocherfreut sein. Ich werde noch heute bei ihr vorbeigehen, um ihr die frohe Nachricht zu überbringen.»
Es war ein sonniger Augusttag, und flimmernde Hitze lag über dem Land. Weiße Wölkchen zogen sacht über den tiefblauen Himmel, das silbern glitzernde Band des Mains wand sich zwischen Schafherden durch die Ebene. Am Horizont war die Silhouette der Stadt Frankfurt zu erkennen.
«Wie gut es tut, dem Trubel in Frankfurt entronnen zu sein!», sagte Agnes von Birnreuth und atmete genießerisch die frische Luft ein. «Man meint wirklich, dass die ganze Stadt verrückt geworden wäre. Wie soll es erst werden, wenn der König mit seinem Hofstaat einzieht!»
«Es war eine gute Idee, diesen Ausflug zu unternehmen, liebste Schwester», meldete sich Maximilian zu Wort.
«Wo sind wir hier überhaupt?», fragte Paulina.
Sie spazierten über einen schmalen Pfad am Fluss entlang. Immer wieder trafen sie auf vornehme Bürgersleute.
«Wir kommen gleich nach Oberrad», sagte Agnes. «Es soll dort ein Gasthaus geben, in dem der überall gepriesene Apfelwein ausgeschenkt wird. Er soll köstlich
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