Die Seidenbaronin (German Edition)
Höflinge trat der fremde junge Mann vor Paulina und bat sie zum Tanz.
«Es ist ja geradezu unmöglich, an Sie heranzukommen», sagte er, als sie über das Parkett schwebten. «Beim Souper saßen Sie meilenweit von mir entfernt, und auch beim Konzert war nicht daran zu denken, in Ihre Nähe zu gelangen. Warum müssen Sie auch ausgerechnet die Hofdame Ihrer Hoheit sein?»
Paulina lachte. «Vorhin veranlasste Sie mein Amt noch zu einem Ausruf der Begeisterung. Nun ja, die Etikette macht es nicht eben einfach, miteinander ins Gespräch zu kommen, besonders nicht inmitten der Hofgesellschaft.»
«Dann lassen Sie uns von hier verschwinden!», schlug er vor.
«Verschwinden? Wie stellen Sie sich das vor? Ich kann nicht einfach verschwinden. Ihre Hoheit würde mich sofort vermissen.»
Er neigte sich zu ihr herüber und flüsterte: «Ich habe zufällig vorhin mitbekommen, wie der Leibdiener der Prinzessin dem Oberhofmarschall mitteilte, dass Prinzessin Therese später einer gewissen Gräfin Terzow eine Audienz gewähren wird.»
«Oh, die Gräfin Terzow! Das ist eine alte Freundin von Therese aus Kindestagen», erinnerte Paulina sich.
«Sie sehen also, es wird Ihrer Hoheit nicht auffallen, wenn Sie kurzzeitig abwesend sind.»
Die Aussicht auf ein romantisches Stelldichein begann Paulina zu reizen. Sie spürte ein prickelndes Gefühl im Bauch. Verschwiegene Treffen waren schließlich gang und gäbe bei Hof, und es wurde höchste Zeit, dass auch sie dergleichen einmal erlebte.
«Ich kenne ein lauschiges Plätzchen im Park», versuchte ihr Galan weiter, sie zu überreden.
Paulina schaute sich zu dem Prinzenpaar um. In der Tat trat gerade der Oberhofmarschall vor Therese und machte ihr eine vertrauliche Mitteilung. Die Prinzessin folgte ihm aus dem Saal hinaus.
«Dann sollten Sie es mir schleunigst zeigen», sagte Paulina.
Der junge Mann nahm sie an der Hand und zog sie leichtfüßig hinter sich her in den Garten hinaus. Paulina warf einen letzten Blick über die Schulter. Niemand schien das Hinausgehen der ersten Hofdame zu bemerken.
Ihr junger Verehrer steuerte auf eine kleine, versteckte Laube zu, in der auf einem Sockel die Statue einer Göttin stand. Bei Tag war dieser Pavillon ein eher langweiliger Ort inmitten all der sonstigen Wunderwerke des Parks, doch jetzt, in dieser lauen Juninacht, im Duft des rankenden Geißblatts, hätte Paulina sich kein verträumteres Plätzchen vorstellen können. Die junge Frau ließ sich auf einer Steinbank im Inneren der Laube nieder.
«Was für ein wunderbarer Einfall hierherzukommen», schwärmte sie. «Ich wusste gar nicht, dass der Park bei Nacht so schön ist!»
«Mir scheint, Sie wissen überhaupt eine ganze Menge noch nicht», meinte der junge Mann und glitt neben sie.
Seine hellbraunen Augen leuchteten im Dunkeln wie Edelsteine.
«Ich habe mir bereits alles überlegt», eröffnete er ihr freimütig. «Wenn ich aus England zurückkehre, werde ich Sie meiner Familie vorstellen. Eine Hofdame der Prinzessin von Thurn und Taxis – selbst mein Vater wird nichts gegen Sie einzuwenden haben.»
«Pflegt Ihr Vater sonst Einwände zu haben?», fragte Paulina.
«Das kann man so sagen. Ich muss ehrlich gestehen, dass ich es genossen habe, während meiner Reise nach Italien seiner allumfassenden Beaufsichtigung entronnen zu sein.» Er nahm schüchtern ihre Hand. «Dürfte ich Ihnen vielleicht aus England schreiben?»
Ihr Herz machte einen Sprung. «Glauben Sie nicht, dass Sie dort etwas anderes zu tun haben werden?»
«Gewiss, Mademoiselle. Aber deshalb werde ich doch nicht die Dame meines Herzens vergessen!»
Sie sah ihn mit großen Augen an. Er schien es tatsächlich ernst zu meinen. Was er die ganze Zeit über gesagt hatte, war wohl nicht nur höfisches Getändel gewesen, um ihr ein wenig zu imponieren. Aber war es das für sie etwa gewesen? Sie hatte doch auch seit der Gondelfahrt im Bauerndorf an nichts anderes gedacht, als ihn am Abend auf dem Ball wiederzusehen. Sie hatte Stunden mit der Auswahl ihres Kleides verbracht und sich im Festsaal den Hals verrenkt, bis sie ihn endlich unter den Gästen entdeckt hatte. Sie hatte während des Soupers verstohlene Blicke mit ihm getauscht und beim Konzert davon geträumt, dass er sie später vielleicht zum Tanz auffordern würde.
Als Agnes von Birnreuth sie über ihn hatte aufklären wollen und dabei eine Miene gemacht hatte, als müsste sie die Freundin vor dem schlimmsten Don Juan aller Zeit warnen, war Paulina fortgelaufen.
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