Die Seidenbaronin (German Edition)
Arrangements erkennen. Ich erwarte nicht sofort eine Antwort von Ihnen, aber ich werde mich auch nicht zu lange gedulden. Im Fall einer Ablehnung muss ich andere Dispositionen treffen.»
Paulina hatte plötzlich einen Kloß im Hals. So weit war es also gekommen, dass sie, die vor einem Jahr noch darauf gehofft hatte, den Sohn des Grafen Bahro zu heiraten, sich jetzt verschachern lassen musste wie ein Ackergaul.
«Ich mache Ihnen einen Vorschlag, Mademoiselle», fuhr von Ostry fort. «Ich werde Ihnen morgen meine Kutsche schicken, die Sie zu meinem Haus nach Crefeld bringen wird. Sie sollen wissen, auf was Sie sich einlassen, wenn Sie mein Angebot annehmen.»
Paulina wurde den Eindruck nicht los, dass sich hinter dem Arrangement mehr verbarg als der Wunsch nach einer standesgemäßen Sommerresidenz. Nun, sie würde schon noch herausfinden, was für Absichten dieser ausgefuchste Kaufmann hatte.
Sie lächelte süß. «Ich nehme Ihre Einladung gerne an, Monsieur.»
«Wunderbar!» Von Ostry erhob sich. «Dann erwarte ich mit Spannung Ihre Antwort.»
Von Ostrys Kutsche war von bescheidenem Äußeren, verfügte jedoch über alle Arten von Bequemlichkeiten, die das Reisen angenehmer machten. Als sie an hübschen Gärtchen vorbei durch das Stadttor nach Crefeld hineinfuhr, fühlte Paulina sich wehmütig an vergangene Zeiten erinnert.
Johanna hatte geholfen, ihr einziges halbwegs passables Kleid mit einem Rüschenkragen zu verzieren. Es war der erste warme Frühlingstag dieses Jahres, und die junge Frau hatte auf ihren unansehnlichen Wollmantel verzichtet und stattdessen einen hübschen Umhang aus Sophies Nachlass über die Schultern gelegt.
Die Kutsche rollte über einen schön gestalteten Platz, der von prächtigen Häusern umgeben war. Paulina blickte sich staunend um. Sie hatte geglaubt, in eine kleine Kaufmannsstadt zu kommen. Wie konnten sich diese bürgerlichen Handelstreibenden nur solch herrschaftliche Domizile leisten?
Von Ostry bewohnte ein dreigeschossiges Eckhaus mit einer leicht ausladenden Mittelachse, kunstvollen Ornamenten in der Fassade und Fenstern mit feiner Sprosseneinteilung. Ein Diener führte Paulina in ein großes, helles Zimmer, in dessen Mitte eine mit kostbarem Geschirr und feinsten Gläsern gedeckte Tafel stand. Die gnädige Frau werde sofort kommen, sagte er und empfahl sich.
Paulina schritt fast ehrfürchtig an dem Tisch entlang. Hatte man nur ihr zu Ehren so aufgedeckt, oder erlebte sie ein ganz gewöhnliches Mittagsmahl im Hause von Ostry? Sie betrachtete die Gemälde an den Wänden. Sämtliche hugenottischen Vorfahren des Hausherrn schienen dort versammelt zu sein. Als sie weiter um die Tafel herumging, erhaschte sie einen Blick durch die großen Fenster auf einen Garten mit zwei Pappeln, Laubengängen und einem Sommerhäuschen.
Die Tür ging auf, und eine schlanke Dame mit herben Gesichtszügen betrat das Zimmer, gefolgt von einem ernsten, ein wenig verbissen dreinschauenden jungen Mann und einer neugierig hinter ihm her drängenden jungen Frau.
«Willkommen im Hause von Ostry, gnädiges Fräulein», sagte die Dame. «Mein Gatte ist noch nicht aus dem Geschäft zurückgekehrt, wird aber jeden Moment erwartet. Er sagte mir bereits, dass wir Sie heute Mittag zu Gast haben werden.» Sie deutete auf die beiden jungen Leute. «Mein ältester Sohn Jean, meine Tochter Catherine.»
Der Sohn der von Ostrys war nicht groß und neigte schon in seinen jungen Jahren zur Untersetztheit seines Vaters. Desgleichen hatte er den breiten Kopf und die lange Nase des alten von Ostry geerbt. Zu ihrem Entsetzen meinte Paulina außerdem zu erkennen, dass auch sein Haar bereits schütter wurde.
Catherine von Ostry hatte ähnlich herbe Züge wie ihre Mutter. Im Gegensatz zur beherrschten Art ihres Bruders waren ihre Bewegungen fahrig und voller Ungeduld.
Durch die jahrelang genossene höfische Erziehung bereitete es Paulina keinerlei Schwierigkeiten, eine leichte, unverfängliche Unterhaltung mit Frau von Ostry zu beginnen. Als der Hausherr wenige Minuten später erschien, war ein angeregtes Gespräch im Gange.
Von Ostry hatte noch einige Geschäftsfreunde zum Essen mitgebracht und wies seinen Gästen höflich ihre Plätze zu. Frau von Ostry bat Paulina, sich neben Catherine zu setzen, die ihr aufmunternd zulächelte. Als alle Platz genommen hatten, ließ von Ostry, der am Kopfende thronte, seinen Blick über den Tisch schweifen. Er blieb an einem verwaisten Gedeck neben Paulina hängen.
«Wo ist
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