Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Seidenbaronin (German Edition)

Die Seidenbaronin (German Edition)

Titel: Die Seidenbaronin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Rauen
Vom Netzwerk:
dulden und wünsche nicht, dass sie nach Frankfurt zurückkehre. Sie habe ihr Dilemma selbst verschuldet und solle nun auch die Folgen ihrer Entscheidung tragen.
    Der dritte Brief war von Graf Gondern. Prinzessin Marie von Hessen-Darmstadt habe genug von den Eskapaden der Baroness von Gralitz und halte es für das Beste, wenn das gnädige Fräulein im Hause ihres Vaters bleibe, schrieb der Graf. Die Baroness könne ohnehin nicht an den Hof von Darmstadt zurückkehren, da, wie sie sicher wisse, der Sohn des kürzlich verstorbenen Ludwig IX. das Amt des Landgrafen übernommen habe. Es sei Ludwig X. schon immer ein Dorn im Auge gewesen, dass die Enkelin des Barons Dornfeld bei Hof verkehre. Er habe dies seiner Tante zuliebe toleriert, wünsche aber nicht, dass sie seinem Hofstaat weiterhin angehöre. Graf Gondern hatte noch ein Postskriptum hinzugefügt, das Paulina die Zornestränen in die Augen trieb: «Wie habe ich diesen Tag herbeigesehnt! Endlich ist Ihr Niedergang da!»
    Sie hatte keine andere Wahl, als in Erldyk zu bleiben.

[zur Inhaltsübersicht]
    Teil 2
    Die Fabrikantin von Crefeld
    Kapitel 16
    Erldyk, April 1791
    Ein Reiter kam die Zufahrt von Schloss Erldyk herauf. Hinter den Fensterscheiben ihres Schlafzimmers beobachtete Paulina, wie er inmitten der kahlen Bäume und Sträucher über den verwilderten Weg ritt, der in den Schlosshof führte. Vermutlich handelte es sich um den kurkölnischen Steuereintreiber, den sie in den letzten Monaten schon mehrere Male unverrichteter Dinge wieder fortgeschickt hatte.
    Paulina ging zum Spiegel, um ihr Kleid und die Frisur zu ordnen. Sie zupfte an einer Locke ihres kastanienbraunen Haars, die ihr vorwitzig in die Stirn fiel. Wehmütig lächelte sie ihrem Spiegelbild zu. Wenn schon sonst niemand in den Genuss ihrer Schönheit kam, wollte sie zumindest diesem Steuereintreiber ein wenig den Kopf verdrehen. Eine Auseinandersetzung mit ihm erschien ihr allemal aufregender als die schrecklich eintönigen Tage, die sie im vergangenen Winter an den Rand des Wahnsinns getrieben hatten. Eilig sprang sie die Treppe hinunter.
    Als Paulina den Salon betrat, sah sie einen kleinen untersetzten Herrn am Fenster stehen, der in den öden Park hinausblickte.
    Er drehte sich um, und Paulina erkannte ihn sofort. Es war der Herr, der in Darmstadt mit Kronwyler den Laden des Schneidermeisters Brodermann besucht hatte. Sein Haarkranz unter der breiten Halbglatze war in den letzten dreieinhalb Jahren noch ein wenig spärlicher geworden.
    «Sie haben also Ihr Vorhaben in die Tat umgesetzt und sind nach Crefeld übersiedelt, Monsieur!», begrüßte Paulina ihn.
    Der Kaufmann verneigte sich. «Ich bemerke erfreut, dass Sie sich meiner entsinnen, Mademoiselle.»
    «Gleichwohl erinnere ich mich nicht mehr an Ihren Namen. Nur der Ihres Begleiters ist mir im Gedächtnis geblieben.»
    «Conrad von Ostry», stellte er sich vor. «Mein damaliger Begleiter ist heute mein Teilhaber. Wir betreiben gemeinsam das Unternehmen Kronwyler Sohn und von Ostry .»
    Paulina deutete auf eine kleine Sitzgruppe, deren abgewetzte Polster nicht gerade einladend aussahen.
    Ohne eine Miene zu verziehen, ließ sich von Ostry auf einem der schäbigen Stühle nieder. «Darf ich mich nach dem Befinden Ihres Herrn Vater erkundigen?»
    Deswegen wird er wohl kaum gekommen sein, dachte Paulina und sagte: «Mein Vater quält sich sehr. Seine Hustenanfälle werden immer schlimmer, und er bekommt oft kaum noch Luft.»
    «Er leidet an Schwindsucht, nicht wahr?»
    «Ja, ich denke, dass es diese Krankheit ist. Da er aber weder einen Arzt noch sonst jemanden zu sich lässt, kann ich dies nicht mit letztendlicher Sicherheit bestätigen.»
    Von Ostry räusperte sich. «Haben Sie schon einmal überlegt, was Sie machen werden, wenn Ihr Vater … ich meine, bei dieser Krankheit muss man immerhin davon ausgehen, dass …»
    «… dass er bald sterben wird?», führte Paulina den Satz zu Ende. «Sie können ganz offen mit mir reden, Monsieur. Ehrlich gestanden, hat es mich selbst gewundert, dass mein Vater den Winter überlebt hat.»
    Von Ostry maß sie mit leicht irritiertem Blick. «Sie sind von einer erstaunlichen Freimütigkeit, Mademoiselle. Kronwyler hatte zwar etwas Derartiges angedeutet, aber ich hätte nicht geglaubt, dass eine Dame so unumwunden reden könnte.»
    «Ich nenne die Dinge gerne beim Namen. Das erleichtert das Gespräch und beugt Missverständnissen vor.»
    Paulina bemerkte einen Anflug von Respekt in von Ostrys Miene und

Weitere Kostenlose Bücher