Die Seidenbaronin (German Edition)
Ostry ! Es dient hauptsächlich als Kontor und Lager.»
«Und wo werden Ihre Seidenerzeugnisse hergestellt?», fragte Paulina interessiert.
«Wir praktizieren das sogenannte Verlagssystem, Mademoiselle. Das bedeutet, wir beschaffen die Rohseide, die wir den von uns beschäftigten Webern zur Verfügung stellen. Diese verarbeiten das Material in ihren Häusern auf eigene Rechnung und übergeben uns dann die fertigen Erzeugnisse zum Vertrieb. In unserem Geschäftshaus finden nur kleinere Abläufe wie Konditionieren, Zwirnen und Verpacken statt. Auf diese Weise halten wir die Kosten gering. Wir betreiben außerdem eine Färberei vor den Toren der Stadt.»
«Und mit alledem kann man so wohlhabend werden?»
«Unser Trachten ist es nicht, nur für unser tägliches Überleben zu arbeiten, wie es der Bauer oder der Handwerker tut», erklärte von Ostry. «Was uns antreibt, ist das Streben nach Gewinn. Ein Geschäft wie das unsrige ist mit einem beträchtlichen Risiko verbunden. Es erfordert ein hohes Maß an Intelligenz, Weitsicht und Tüchtigkeit, und dieser Unternehmergeist ist bei weitem nicht jedem in die Wiege gelegt. Wenn man es gut anstellt, kann es einen allerdings sehr reich machen.»
«Eine außerordentlich faszinierendes System!», sagte Paulina.
Sie spazierten weiter die Straße entlang. Während sie sich unterhielten, grüßte von Ostry ständig mit freundlichem Lächeln nach rechts und links.
Auf ihrem kleinen Rundgang kamen sie auch an dem Platz vorbei, den Paulina bei ihrer Ankunft so bewundert hatte. Von Ostry deutete auf ein besonders prächtiges Haus und sagte: «Dieses Palais hat Kronwyler sich bauen lassen. Wie Sie wissen, überredete Kronwyler mich vor drei Jahren, nach Crefeld zu kommen und als sein Teilhaber in das Unternehmen einzutreten.»
«Und offenbar laufen Ihre Geschäfte nicht schlecht», stellte Paulina fest, während sie das Haus ihres einstigen Reisebegleiters bewunderte.
«Wie man es nimmt», sagte von Ostry mit bitterem Unterton. «Wir würden unser Gewerbe gerne noch ausweiten, aber leider sind uns die Hände gebunden. Die von der Leyens halten in Crefeld das vom preußischen König erteilte Monopol zur Herstellung von Seidenstoffen, und wir anderen Fabrikantenfamilien müssen uns mit der Erzeugung von Seidenprodukten zufriedengeben.»
Paulina verkniff es sich zu sagen, dass von Ostry und Kronwyler trotz des Monopols der von der Leyens ein recht einträgliches Unternehmen zu haben schienen. Selten hatte sie so viel Reichtum auf einem Fleck gesehen.
«Haben Sie sich mein Angebot überlegt, Mademoiselle?», fragte von Ostry unvermittelt.
«Ich habe in der Tat darüber nachgedacht, Monsieur», sagte Paulina. «Allerdings stellen sich mir bezüglich unseres Arrangements noch ein paar kleine Fragen.»
«Nur zu! Ich werde sie nach bestem Gewissen beantworten.»
«Wenn ich es richtig verstanden habe, pflegen die Seidenfabrikanten ihre Kinder untereinander zu verheiraten. Warum wählen Sie für Ihren Sohn eine auswärtige Adelige mit einem recht zweifelhaften Ruf, Monsieur?»
«Sie haben eine exzellente Beobachtungsgabe, meine Liebe! Wir sind natürlich bestrebt, dafür zu sorgen, dass unsere Unternehmen nicht durch das Ausbleiben eines Erben in fremde Hände geraten. Diesbezüglich haben Kronwyler und ich jedoch vorgesorgt, indem mein Sohn Jean seine Tochter Sybilla geheiratet hat.»
Paulina blieb stehen. «Ihr Antrag gilt also gar nicht für Jean, sondern für Pierre?»
Von Ostry tat erstaunt. «Sagte ich das nicht bereits?»
«Nein, Sie sagten es nicht, und das wissen Sie genauso gut wie ich! Wo war Jeans Gattin im Übrigen heute? Ich kann mich nicht erinnern, sie bei Tisch gesehen zu haben.»
«Sybilla hat vor drei Tagen ihr erstes Kind bekommen und befindet sich noch im Wochenbett. Es ist ein Sohn – die Erbfolge ist also gesichert.»
«Bei aller Umsicht, mit der Sie Ihre weitreichenden Entscheidungen treffen, erstaunt es mich umso mehr, dass Sie die Tochter eines überall verrufenen Barons zum Preis eines baufälligen Schlosses in Ihre hochheilige Familie aufnehmen.»
«Ich habe Ihnen doch schon erklärt, dass ich Erldyk als Sommersitz für meine Lieben wünsche.»
Paulina stemmte die Hände in die Hüften. «Mein lieber Herr von Ostry! Ich glaube Ihnen kein Wort. Falls Sie möchten, dass ich meine Entscheidung zu Ihren Gunsten treffe, verlange ich, dass Sie mir die Hintergedanken unseres kleinen Arrangements offenbaren – und zwar ausnahmslos alle!»
Die
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