Die Seidenbaronin (German Edition)
vorbeigehenden Spaziergänger begannen, sie neugierig zu taxieren und hinter vorgehaltener Hand zu tuscheln.
Von Ostry fasste Paulina am Arm. «Kommen Sie, Mademoiselle! Man beobachtet uns schon. Ich ahnte zwar, dass Sie für eine Frau erstaunlich klug sind, aber dass Ihr Denkvermögen so weit gehen würde … Also gut, ich werde Ihnen – wenn auch nur widerwillig – meine Beweggründe erläutern. Aber nicht hier auf der Straße, wo man sich bereits den Mund über uns zerreißt. Lassen Sie uns in meine Geschäftsräume gehen!»
«Sie haben recht, Mademoiselle», sagte von Ostry, als sie sich in der Abgeschiedenheit seines Kontors befanden. «Es ist nicht Erldyk, woran ich interessiert bin.»
Der Raum machte in seiner Schlichtheit einen nüchternen Eindruck und ließ nichts von dem Reichtum ahnen, der innerhalb seiner Wände verdient wurde.
«Da Erldyk der Preis für meine Person sein sollte, bin ich gespannt zu erfahren, was ich sonst noch in die Waagschale zu werfen hätte», sagte Paulina.
Von Ostry lehnte sich in seinem Stuhl zurück. «Wie Sie wissen, hat es in Frankreich einen großen Umsturz gegeben. Die Bastille wurde erstürmt, der König ist nur noch eine Marionette der Revolutionäre. Das Volk begehrt gegen die jahrhundertealte Unterdrückung durch den Adel auf. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – das sind die Schlagworte, die in aller Munde sind. Ich fürchte, dass deren Durchsetzung eine neue Kraft auf den Plan bringt, die genauso unerbittlich sein wird wie zuvor der König und sein Adel. Kurz, es wird zu Gewalt und Krieg kommen.»
«Sie glauben, dass die französischen Revolutionäre hier einfallen werden?», fragte Paulina ungläubig.
«Hoffentlich nicht. Man sollte jedoch darauf gefasst sein. Ich habe vielfältige Verbindungen nach Frankreich und bin gut darüber informiert, was dort geschieht. Die letzten Neuigkeiten jedenfalls lassen nichts Gutes ahnen.»
«Und was habe ich nun damit zu tun?», wollte Paulina wissen.
«Falls französische Truppen Crefeld besetzen sollten, werden wir eine Zufluchtsstätte brauchen. Wir benötigen einen Grundbesitz, auf den wir die Seidenproduktion verlagern können. Nun haben wir Crefelder Fabrikanten in der Regel keinen Grundbesitz. Wohin aber sollen wir mit dem, was wir geschaffen haben, wenn die Revolutionäre kommen?»
«Das leuchtet mir durchaus ein. Ich kann jedoch immer noch nicht meine Rolle in Ihren Überlegungen erkennen.»
«Sie sind die einzige Erbin Ihres Vaters, Mademoiselle. Ihr Vater wiederum beerbt den letzten Reichsbaron von Boltenhusen. Das heißt, wenn Herr von Gralitz-Boltenhusen und Ihr todkranker Vater sterben, werden Sie die Besitzerin von Boltenhusen in Mecklenburg. Darüber hinaus wird Ihnen eine kleine Herrschaft im Westfälischen zufallen, die Ihr Urgroßvater erbte, nachdem die letzte Besitzerin ohne Nachkommen verstarb. Dieser Grundbesitz würde sich für die Seidenfabrikation als Standort anbieten, falls wir gezwungen sein sollten, Crefeld zu verlassen.»
Paulina war fassungslos. «Sie sind außerordentlich gut über meine Familienverhältnisse im Bilde, Monsieur.»
«Das gehört zu meinem Geschäft», sagte von Ostry. «Ich habe lediglich meine Verbindungen genutzt und mich erkundigt.»
«Nun, immerhin leuchtet mir jetzt ein, warum Sie eine Heirat zwischen Ihrem Sohn und mir anstreben. Ich für mein Teil frage mich jedoch, ob ich nicht einen hohen Preis bezahle.»
«Die Entscheidung liegt bei Ihnen, Mademoiselle. Ich habe Ihnen Crefeld gezeigt und die Welt, in der Sie leben werden. Mit meinem Sohn Pierre werden Sie sich arrangieren können, wenn Sie mich verstehen. Im Übrigen glaube ich, dass er sich an Ihnen die Zähne ausbeißen wird, was mir schon jetzt eine gewisse Schadenfreude bereitet.»
«Wird Pierre mit diesem Arrangement einverstanden sein?»
«Ich habe meinen Sohn heute genau beobachtet. Sie haben ihm gefallen, gnädiges Fräulein. Ich würde sogar behaupten, dass Sie der Typ Frau sind, der ihn anzieht. Das wird also meine geringste Sorge sein.»
Paulina nickte nachdenklich. Sie musste an ihr elendes Leben in Erldyk denken, an ihren vom Branntwein verwirrten Vater, die zahnlose Johanna, den Steuereintreiber, die langen, traurigen Wintertage, vor deren Wiederholung ihr graute. In Crefeld wäre sie Mitglied einer angesehenen Familie und würde wieder eine gesellschaftliche Stellung haben.
«Darf ich also für meinen Sohn Pierre um Ihre Hand anhalten?», unterbrach von Ostry ihre Gedanken. In
Weitere Kostenlose Bücher