Die Seidenbaronin (German Edition)
helfen. Ich bin genauso ein Werkzeug im Ränkespiel meines Vaters wie Sie. Was das Geld für Ihre Fahrt nach Frankfurt angeht – ich wäre gar nicht in der Lage, es Ihnen zu geben. Mein Vater ist zwar einer der wohlhabendsten Männer der Stadt, aber ich als sein Sohn besitze nichts. Ich bekomme eine monatliche Zuwendung, doch die ist so knapp bemessen, dass ich davon keine Fahrt nach Frankfurt bezahlen könnte.»
«Und Sie beziehen keine weiteren Einkünfte?»
«Wozu sollte ich? Ich habe alles, was ich brauche. Mein Vater ist nicht umsonst zu dem geworden, was er ist. Dazu ist vor allem Fleiß, Disziplin und Sparsamkeit vonnöten. Ich bin ehrlich genug, mir selbst einzugestehen, dass ich diese Tugenden nicht besitze. Das heißt nicht, dass ich unzufrieden bin, Mademoiselle – im Gegenteil. Mein Leben gefällt mir so, wie es ist. Und jetzt erhalte ich auch noch Sie zur Gemahlin!»
Paulina starrte ihn fassungslos an. «Macht es Ihnen nichts aus, von Ihrem Vater und von Ihrem Bruder abhängig zu sein?»
«Warum sollte es mir etwas ausmachen? Ich halte es lieber wie die Adeligen: Arbeiten ist unwürdig, man macht sich allerhöchstens die Hände dabei schmutzig. Es gibt so viel Schöneres, als sich den lieben langen Tag mit Zahlen und ähnlichem Unsinn zu beschäftigen. Solange es mir an nichts fehlt …»
Leichtfüßig tänzelte er durch den Raum, nahm zwei Hüte von einem Ständer und setzte sie abwechselnd auf.
«Was meinen Sie, Gnädigste? Welchen von beiden soll ich tragen, wenn ich heute ausgehe? Sie sind beide elegant, nicht wahr? Und sie passen beide hervorragend zu meinem neuen Rock. Als Sohn eines Seidenstrumpffabrikanten brauche ich mir wenigstens um meine Garderobe keine Sorgen zu machen. Selbst am preußischen Hof würde ich Aufsehen erregen, finden Sie nicht?»
Immer noch schwang er seine Hüte auf und ab, ein jungenhaftes Grinsen auf den Lippen.
«Warum setzen Sie nicht beide übereinander auf?», sagte Paulina verächtlich, drehte sich um und verließ das Zimmer. Mit einem lauten Knall warf sie die Tür hinter sich zu.
Kapitel 18
Crefeld, Juni 1791
Die Trauung wurde in der reformierten Kirche zu Crefeld vollzogen. Von dort aus marschierte die Hochzeitsgesellschaft in einem langen Festzug unter Blumenspalieren hindurch zum Palais Ostry. Im Garten waren lange Tafeln gedeckt, an denen die zahlreichen Hochzeitsgäste Platz fanden. Der gesamte Magistrat von Crefeld war erschienen und hatte Ehrenplätze bei der Familie des Bräutigams. Eine vergnügliche Feier begann.
An Paulina gingen der Nachmittag und der Abend vorbei wie ein Traum. Sie musste an die Bauernhochzeit in Trugenhofen denken, als der Gott Hymen die Fackeln der Liebe durch den Abendhimmel geschwenkt hatte. Die Flammen waren ihr wie ein Symbol ihrer eigenen Liebe erschienen, die Vorboten einer wunderbaren Zukunft. Doch die Fackeln ihrer Liebe waren verraucht, ehe sie richtig gebrannt hatten, und zurückgeblieben war nichts als schwarze, kalte Asche.
Nun saß sie hier im Garten des Palais Ostry und wünschte, dass der Mann an ihrer Seite, der immer wieder wie zufällig ihren Arm streifte, ein anderer wäre. Sie spürte plötzlich, wie ihr Tränen über die Wangen liefen, und die Gäste sahen sie gerührt an, denn sie glaubten wohl, es seien Tränen des Glücks.
«Die Idee des Königs war durchaus reizvoll», drang die Stimme Oppermanns, des Zweiten Bürgermeisters, an Paulinas Ohr. «Zumal Sie mit dem Anbau von Maulbeerbäumen ja im Pfälzischen schon großen Erfolg hatten, mein lieber von Ostry.»
«Ja, ich brachte es dort immerhin auf um die hunderttausend Stämme», sagte von Ostry wehmütig.
Die Worte ihres Schwiegervaters rissen Paulina aus ihrer Melancholie.
«Warum haben Sie Ihre Maulbeerplantage eigentlich aufgegeben?», wollte Althoff, der Erste Bürgermeister, wissen.
Von Ostrys Miene verdüsterte sich. «Die Bauern ließen sich von den revolutionären Ideen aus Frankreich anstecken. Sie wehrten sich zunehmend gegen den Anbauzwang von Maulbeerbäumen. Meine Plantagen wurden vernachlässigt oder gar verwüstet. In unseren Breitengraden ist die Zucht der Seidenraupe nicht ganz einfach. Schon die kleinste Störung kann ihren Misserfolg bedeuten.»
«Das haben wir ja leider auch erfahren müssen», sagte Oppermann verdrossen.
«Ich wusste zwar, dass es schwierig wird, in hiesigen Gefilden Maulbeerbäume anzubauen», fuhr von Ostry fort, «aber es ist mir bis heute ein Rätsel, weshalb der Versuch vollständig misslang.
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