Die Seidenbaronin (German Edition)
seinen Kopf in die Hand. «Darüber habe ich auch schon oft nachgedacht. Eigentlich müsste meinem Vater mit seinem tiefen Sinn für Moral und Anstand alles an dir und deiner Familie widerstreben. Dieses kleine Arrangement, das er mit dir getroffen hat, muss sehr wichtig für ihn sein, da er sich dazu überwunden hat, dich in unsere Familie aufzunehmen.»
«Glauben Sie, dass die französischen Revolutionäre Crefeld erobern werden?», fragte Paulina nachdenklich.
Pierre streckte seinen Arm nach ihr aus und zog sie an sich.
«Heute Nacht glaube ich gar nichts, mein Herz! Ich weiß nur, dass ich dich erobern möchte, und zwar immer und immer wieder …»
Kapitel 19
Crefeld, September 1791
Frau von Ostry ging an dem für das abendliche Souper gedeckten Tisch entlang und begutachtete die Gestaltung der Tafel.
«Mir fehlt immer noch eine Vergnügung, die ich den Herrschaften heute bieten könnte», sagte sie, während sie hier und da eine kleine Korrektur bei der Anordnung der Gedecke vornahm.
«Was halten Sie von einer literarischen Lesung, wie wir sie letztens erst veranstaltet haben?», schlug Catherine vor, die ihr zusammen mit Paulina bei den Vorbereitungen für den Abend half.
«Wie du schon sagst, mein Kind – wir hatten sie kürzlich erst. Heute sind Althoff, Oppermann, der Richter und drei der wichtigsten Seidenfabrikanten bei uns zu Gast. Genau diese Herrschaften sind bereits in den Genuss der Lesung gekommen. Es würde das Gerücht aufkommen, dass man sich bei unseren Abendgesellschaften zu Tode langweilt.»
«Verzeihen Sie, Maman, aber ich habe nicht gewusst, dass die Herren vom Magistrat schon wieder an der Reihe sind.»
Frau von Ostry seufzte. «Du kennst sie doch. Sie achten peinlich genau darauf, wohin sie wie oft eingeladen werden.»
Catherine zuckte mit den Achseln. «Wie können Sie da nur den Überblick behalten!»
«Was denkst du, mein Kind! Ich führe akribisch Buch über Namen, Speisenfolge und Unterhaltung unserer Gäste. Laut meiner Liste bleibt mir fast gar nichts anderes übrig, als heute einen Musikabend zu arrangieren.»
Paulina hatte dem Gespräch mit einem Schmunzeln gelauscht.
«Was halten Sie von einer kleinen Vergnügung, die wir immer am Hof von Regensburg gespielt haben?», sagte sie.
Frau von Ostrys Miene verfinsterte sich. «Finden Sie, dass Ihre höfischen Spielchen das Richtige für ein ehrenwertes Kaufmannshaus sind? Mein Gatte und ich eignen uns nun wahrlich nicht für unsittliche Albereien.»
Hinter ihrem Rücken zwinkerten Paulina und Catherine sich verschmitzt zu.
«Denken Sie daran, wie sehr unseren Gästen neulich das Blindekuhspiel gefallen hat», erinnerte Paulina. «Sie haben alle begeistert mitgemacht, und zwar ausnahmslos. Das war im Übrigen auch eines der unmoralischen Spielchen aus meiner Zeit am Hof von Thurn und Taxis.»
Frau von Ostry wandte sich um. Ihr war anzusehen, dass sie mit sich haderte. «Nun ja … wenn ich es recht überlege … die anderen Damen waren ganz neidisch, dass wir eine so kurzweilige Unterhaltung geboten haben … Vielleicht können Sie mir Ihre Idee ja einmal kurz schildern.»
Catherine stupste ihre Schwägerin verstohlen in die Seite.
«Das Spiel ist ganz einfach», erklärte Paulina. «Die Gäste müssen sich gegenseitig mit einem einzigen Satz charakterisieren – kurz und treffend. Sie glauben nicht, wie viel Spaß wir damit am Hof von Thurn und Taxis hatten.»
Catherine fing an zu kichern, während Frau von Ostrys Gesicht ihren inneren Konflikt widerspiegelte: Die strengen Moralvorstellungen ihres Glaubens kämpften gegen den Wunsch an, sich vor den anderen Damen ein wenig hervorzutun.
«Sicher wird Pierre es liebend gerne übernehmen, diesen netten kleinen Zeitvertreib in der werten Crefelder Gesellschaft einzuführen», fuhr Paulina fort. «Und dann waren Sie es, in deren Haus diese Vergnügung Premiere hatte.»
Frau von Ostry dachte einen Augenblick nach, dann steuerte sie entschlossen auf die Tür zu. «Ich werde mit Pierre darüber reden», murmelte sie im Hinausgehen.
«Ihre Eitelkeit hat offenbar gesiegt!», flüsterte Catherine ihrer Schwägerin zu. «Kommen Sie! Lassen Sie uns ein wenig über das höfische Leben plaudern! Sie müssen mir noch einmal von der guten Prinzessin George erzählen, und von ihrem Lieblingsspruch.»
«Sie meinen, dass sie erst dann wieder ruhig schlafen könne, wenn alle ihre Enkelinnen unter der Haube seien?»
Die beiden jungen Frauen zogen sich lachend in den kleinen
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