Die Seidenbaronin (German Edition)
bildete mir ein, dass alle Männer sie lüstern anstarrten, weil sie so schön war. Irgendwann habe ich darauf bestanden, dass wir uns völlig zurückzogen. Wir lebten wie Einsiedler in diesem Schloss. Ich war glücklich, aber Sophie hielt es bald nicht mehr aus. Sie fuhr unter dem Vorwand, ihre Tante besuchen zu wollen, nach Hannover. Ich ließ sie nur ungern fahren und ertrug es kaum, auf sie zu warten. Ständig stellte ich mir vor, wie sie am Hof von Hannover mit anderen Herren zusammentreffen würde. Als ich erfuhr, dass Sophie sich in Schloss Bahro in Mecklenburg aufhielt, war ich zunächst erleichtert. In der Provinz schien sie mir weniger Versuchungen ausgesetzt als am Hof von Hannover. Dann kehrte sie nach Erldyk zurück. Ich merkte sofort, dass sie sich verändert hatte. Sie sagte mir, dass sie mich nicht mehr liebe. Sie könne es nicht mehr ertragen, mit mir unter einem Dach zu leben. Kurz darauf verschwand sie bei Nacht und Nebel.»
Paulina hatte ihrem Vater mit wachsendem Staunen zugehört. Es bereitete ihm große Anstrengung zu sprechen, und sie war mehrmals kurz davor gewesen, ihn zum Schweigen anzuhalten.
Ihr Vater schien indessen seine letzten Kräfte aufzubieten.
«Ich wusste, dass Sophie wieder nach Mecklenburg gefahren war, und reiste ihr nach», ertönte seine schwache Stimme von neuem. «In Schloss Bahro traf ich sie und einen Neffen der Gräfin Bahro an. Ich war rasend vor Eifersucht und hätte den Kerl am liebsten mit bloßen Händen erwürgt. Es gelang mir gerade noch, mich zu beherrschen. Ich zwang Sophie, sofort mit mir zurück nach Erldyk zu fahren. Kurz nach unserer Ankunft eröffnete sie mir, dass sie schwanger sei. Sie schwor mir bei allem, was ihr heilig war, dass nur ich der Vater sein konnte. Außerdem sei sie ohnehin dabei gewesen, sich von dem jungen Bahro loszusagen. Ich glaubte ihr kein Wort. Du, Paulina, kamst zur Welt, und immer, wenn ich dich ansah, stellte ich mir vor, wie sie mit dem anderen …»
Seine Stimme versagte, und er drehte den Kopf zur Seite. Paulina wollte schon aufstehen und nach dem Arzt rufen, doch er packte ihren Arm so fest, dass es schmerzte. Ohne sie anzusehen, sprach er unter großen Mühen weiter:
«Ich wurde beinahe verrückt bei dem Gedanken, dass im Leib meiner Gattin die Frucht eines anderen herangereift war. Von da ab wollte ich nur noch eines: dass Sophie auch von mir ein Kind bekäme. Eines Abends drang ich in ihr Schlafzimmer ein und nahm sie mit Gewalt … in dieser Nacht und in der nächsten Nacht und in vielen folgenden Nächten … bis ich sicher sein konnte, dass sie wieder ein Kind unter dem Herzen trug.»
«O mein Gott! Das haben Sie meiner Mutter angetan?»
«Je mehr sie weinte und mich anflehte, sie in Ruhe zu lassen, desto besessener wurde ich. Ich hatte plötzlich alle Macht über sie. Es bereitete mir Genugtuung, sie zu demütigen, sie besiegt und widerstandslos auf dem Bett liegen zu sehen. Mit jedem Stück Würde, das sie verlor, gewann ich meine zurück.»
«Sie hätte fortlaufen sollen …»
«Ich habe sie eingesperrt. Sobald ich sie morgens verließ, verschloss ich ihre Tür. Den Dienstboten drohte ich schreckliche Strafen an, falls sie Sophies Zimmer betreten würden. Nur Johanna durfte zu ihr.» Er begann zu husten. Sein Körper zuckte unter heftigen Krämpfen.
«Und das Kind?»
«Es war eine schwierige Schwangerschaft», stieß er hustend hervor. «Obwohl ich nicht mehr zu ihr ging, wurde Sophie sehr krank. Das Kind kam viel zu früh auf die Welt und starb kurz nach der Geburt.» Seine Stimme brach. «Es war ein Knabe!»
Der Husten wurde schlimmer. Der Baron zog die Bettdecke vor den Mund, und das weiße Leinen färbte sich rot. Röchelnd rang er nach Luft.
«Du musst mir vergeben, meine Tochter! Ich will nicht sterben, ohne dass du mir verziehen hast, was ich euch angetan habe.»
Paulina sprang entsetzt vom Stuhl auf. Alles um sie herum begann sich zu drehen.
«Wir brauchen den Arzt!», schrie sie und sah Sternchen vor ihren Augen tanzen. Sie hörte, wie die Tür aufging, und erkannte schemenhaft die Umrisse zweier Menschen, die auf sie zukamen. Ihre Knie wurden weich, und sie taumelte. Im nächsten Moment fühlte sie sich von einer kräftigen Hand gehalten. Dann wurde ihr schwarz vor Augen.
«Wachen Sie auf, gnädige Frau!»
Jemand rüttelte beharrlich an Paulinas Schulter. Sie schlug die Augen auf und sah sich verwirrt um. Man hatte sie auf das abgewetzte Sofa im Salon gelegt, über ihren Körper war
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