Die Seidenbaronin (German Edition)
Erbin für die Güter haben. Außerdem wäre bei einem Knaben die Gefahr recht groß, dass er nach seinem Vater schlagen könnte.»
Nachdem von Ostry sich verabschiedet und auf den Weg zurück ins Kontor gemacht hatte, fand die Magd sich bei der Wöchnerin ein.
«Die Amme wartet unten, gnädige Frau», sagte sie beiläufig, während sie den Säugling aus seiner Wiege hob.
Paulina richtete sich mühsam in ihrem Bett auf. Die Amme wartete unten? Würde man etwa, so wie es bei vornehmen Damen üblich war, das Neugeborene nach der Taufe der Amme mitgeben, damit es bei ihr seine ersten Lebensjahre verbrachte? Sie musste an Therese denken, und plötzlich schien ihr der Gedanke, sich schon so bald von ihrem Kind trennen zu müssen, unerträglich.
«Warten Sie!», sagte sie und hob schwach die Hand. «Warten Sie! Ich möchte mich selbst um mein Kind kümmern!»
«Wie bitte?», rief die Magd entsetzt. «Aber gnädige Frau! Was ist das denn für ein merkwürdiger Einfall?»
«Lassen Sie die Hebamme rufen, damit sie mir helfen möge, das Kind zu versorgen!»
«Die Niederkunft hat Ihnen die Sinne verwirrt! Glauben Sie mir, es ist besser, wenn das Kind jetzt zur Amme kommt.»
«Das Kind bleibt hier!», befahl Paulina mit herrischer Stimme. «Oder soll ich aufstehen und es mir selbst holen?» Und um zu zeigen, dass sie es ernst meinte, schlug sie die Bettdecke zurück und setzte die Füße auf den Boden. Ein heftiger Schmerz ließ sie zusammenfahren.
«Um Himmels willen, gnädige Frau, gehen Sie sofort ins Bett zurück!» Verständnislos den Kopf schüttelnd, legte die Magd hastig den Säugling in die Wiege und eilte aus dem Zimmer, um kurz darauf mit der vor Wut schnaubenden Hebamme wiederzukommen.
«Was höre ich da?», tobte die Geburtshelferin. Sie stürzte zum Bett und drückte Paulina wieder in ihre Kissen. «Eine vornehme Bürgersfrau, die ihr Kind selbst versorgen will? Ist Ihnen klar, dass Sie es dann auch nähren müssen? Sie sind doch keine arme Bäuerin, der nichts anderes übrigbleibt, als ihren Busen hinzuhalten!»
«Warum sollte ich das Kind nicht auch selbst stillen!», beharrte Paulina energisch. «Die Amme mag zu meiner Unterstützung ins Haus kommen, aber ich möchte die Kleine nicht hergeben.»
Den nächsten Besuchern bot sich im Zimmer der gerade Niedergekommenen ein wunderliches Bild. Paulina saß von mehreren Kissen gestützt in ihrem Bett und hielt ihr Kind umfangen, während es friedlich an ihrer Brust saugte.
Frau von Ostry schlug die Hände über dem Kopf zusammen. «Aber was machen Sie denn da, meine Liebe? Sie können doch nicht selbst stillen! Die Amme wird das Kind mit auf ihren Hof nehmen.»
Man rief sogar den Hausherrn erneut von seiner Arbeit im Kontor herbei, weil Paulina sich weigerte, ihr Kind der Amme zu übergeben. Es entbrannte eine hitzige Diskussion darüber, wie nun verfahren werden sollte. Von Ostry erklärte ausdrücklich, dass er mit derlei Frauenfragen nicht belästigt werden wolle. Die größte Sorge seiner Gattin hingegen schien zu sein, was ihre Nachbarinnen denken würden, wenn sie erführen, dass im Hause des ehrenwerten Fabrikanten von Ostry Sitten wie in der einfachsten Weberfamilie herrschten.
Paulina ließ sich indessen nicht beirren. Sie werde selbst für ihr Kind sorgen, stellte sie klar, und es sei ihr völlig einerlei, ob jemand in der Stadt etwas daran auszusetzen habe.
Ausgerechnet Pierre schaffte es, die Gemüter zu beruhigen.
Sichtlich erleichtert darüber, dass der nervenaufreibende Vorgang der Geburt beendet war, tauchte er am frühen Nachmittag am Wochenbett auf und staunte nicht schlecht, als er dort seinen Vater und seine Mutter antraf, die auf eine trotzig in ihrem Bett thronende Paulina einredeten.
Mit gelassener Miene hörte er sich Frau von Ostrys Klagen an, während er immer wieder in die Wiege äugte, als könne er nicht recht glauben, dass das kleine Wesen darin wirklich seine Tochter war.
Nachdem seine Mutter ihm die Lage geschildert hatte, ging er zu Paulinas Frisiertisch und betrachtete sich im Spiegel.
«Ich verstehe das Problem nicht ganz», sagte er in einem Ton, der verriet, wie überflüssig er die Debatte fand. «Warum soll die Kleine aufs Land, wenn man sie auch hier großziehen kann? Es ist doch völlig unsinnig, dass ausgerechnet wir, die wir über genügend Geld und ein geräumiges Haus verfügen, unser Kind in die Armut und Beengtheit einer Bauernfamilie geben.»
Von Ostry zog die Augenbrauen in die Höhe.
«Ist das
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