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Die Seidenbaronin (German Edition)

Die Seidenbaronin (German Edition)

Titel: Die Seidenbaronin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Rauen
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bemerkte Paulina, dass drei Fenster im oberen Stockwerk des Schlosses erleuchtet waren. Im Hof stand eine schwarze Kutsche, gleichsam ein Vorbote drohenden Unheils.
    Johanna stürzte ihnen aus dem Schloss entgegen.
    «Gnädige Frau! Beeilen Sie sich! Der Arzt sagt, es gehe bald zu Ende mit dem Herrn Baron!»
    Unter einiger Anstrengung zwängte Paulina sich aus dem Wagen. Der Wind zerrte ihr die Kapuze vom Kopf, und kalter Regen klatschte ihr ins Gesicht. Sie folgte Johanna ins Haus und durch die dunkle Halle die Treppe hinauf. Im Zimmer neben dem Schlafgemach des Barons waren Lichter angezündet. An einem Tisch saß ein Mann in Hemdsärmeln und hatte sich über ein Buch gebeugt. Als Paulina zaghaft an die offene Tür klopfte, blickte er auf. Unter seinen gütigen Augen lagen tiefe Ringe.
    «Der Pastor ist schon bei ihm», sagte er müde.
    Paulina blieb im Türrahmen stehen. «Können Sie denn nichts mehr für ihn tun?»
    Der Arzt schüttelte mit trauriger Miene den Kopf. «Der Herr Baron hätte mich viel eher konsultieren müssen. Es grenzt an ein Wunder, dass er überhaupt so lange gelebt hat.»
    «Kann ich zu ihm gehen?»
    «Gehen Sie nur, gnädige Frau. Er hat ausdrücklich nach Ihnen verlangt. Wir sind froh, dass Sie es noch rechtzeitig geschafft haben.»
    Paulina begab sich zum Schlafzimmer ihres Vaters. Bis auf eine Kerze, die auf dem Nachttisch stand, war es düster in dem Raum. Neben dem Bett ihres Vaters saß der Pastor in seinem schwarzen Gewand. Er las mit monotoner Stimme einen Abschnitt aus der Bibel vor.
    Zögernd trat Paulina näher. Beim Anblick des Barons schlug sie erschrocken die Hand vor den Mund. Ihr Vater lag mit geschlossenen Augen in seinem Kissen. Er hatte den Mund halb geöffnet, sein Gesicht unter dem dunklen Haar war so bleich und ausgezehrt, dass sie ihn kaum wiedererkannte. Bei jedem Atemzug stieß er ein rasselndes Röcheln aus.
    Der Pastor hörte auf zu lesen und sah zu Paulina auf. Seit ihrer Zeit in Erldyk hatten sie sich nicht mehr gesehen. Er schloss seine Bibel und erhob sich. «Ihr Vater wird friedlich sterben, denn er hat seine Seele erleichtert. Was für eine Schuld hat dieser arme Mann auf sich geladen!» Er berührte Paulinas Arm. «In der Stunde des Todes verzeiht Gott auch den größten Sündern. Gehen Sie nicht zu hart mit ihm ins Gericht, gnädige Frau!»
    Bedächtig schritt er an Paulina vorbei aus dem Zimmer. Die junge Frau hörte, wie die Tür leise geschlossen wurde, und setzte sich nieder. Sie betrachtete den gequälten Gesichtsausdruck ihres Vaters und wagte nicht, etwas zu sagen. Ob er überhaupt wusste, dass sie hier war? Sie dachte an die schrecklichen Monate, die sie mit ihm in Schloss Erldyk verbracht hatte. Was musste er für einen tiefen Groll gegen seine Mitmenschen gehegt haben! Ob er irgendwann einmal anders gewesen war?
    Lange Zeit saß Paulina so am Bett des Sterbenden.
    Sie merkte, dass sie nicht mehr gegen die bleierne Müdigkeit ankämpfen konnte. Ihr Kopf fiel auf die Brust. Es gelang ihr noch einige Male, ihn wieder hochzureißen …

    «Du bist also wirklich gekommen.»
    Paulina schreckte verstört auf. Sie war tatsächlich eingenickt. Ihr Kopf dröhnte fürchterlich, und sie fühlte sich so matt, dass jede Bewegung ihr als eine übermenschliche Anstrengung erschien.
    Der Baron blickte sie aus seinen tief in den Höhlen liegenden, trüben Augen an.
    «Ich weiß, dass du mich am liebsten zum Teufel schicken würdest», röchelte er. «Nun, ich kann dir die freudige Mitteilung machen, dass du bald von mir erlöst sein wirst.»
    Paulina betrachtete ihn mit einer Mischung aus Entsetzen und Mitgefühl.
    «Bist du mit deinem Kaufmannssohn glücklich?», fragte Jobst von Gralitz. «Ich wünsche dir, meine Tochter, dass du niemals so unglücklich wirst wie deine Mutter und ich es waren. Dabei habe ich sie geliebt. Ich habe sie so geliebt, dass ich sie von Anfang an mit meiner Eifersucht verfolgt habe. Deine Mutter war eine sehr schöne Frau. Anders als du, die eine starke, wilde Schönheit besitzt. Sophie war wie eine kleine, zarte Elfe, die man unweigerlich vor dem Rest der Welt beschützen wollte. Ich mochte sie mit niemandem teilen. Sie sollte mir ganz allein gehören.»
    Er hüstelte leicht, und Paulina fürchtete schon, dass er wieder einen seiner Anfälle bekommen würde.
    «Am liebsten hätte ich Sophie eingesperrt, damit niemand sie auch nur anschauen konnte», fuhr der Baron fort. «Jede Gesellschaft, jedes Fest war wie eine Qual für mich. Ich

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