Die Seidenbaronin (German Edition)
für das Landleben eben nicht geschaffen», machte Paulina den halbherzigen Versuch einer Erklärung.
Kollwitz verzog missbilligend das Gesicht. «Es ist nicht gut, wenn Eheleute so lange voneinander getrennt sind. Man kommt leicht auf dumme Gedanken.»
Beschwor er etwa den Geist der armen Sophie von Gralitz herauf, die immer wieder von Erldyk nach Mecklenburg gekommen war und durch ihre langen Aufenthalte auf Schloss Bahro für Gerede gesorgt hatte?
«Sind Sie der Meinung, ich habe mir irgendetwas zuschulden kommen lassen?», wollte Paulina wissen.
Kollwitz sah sie an. «Natürlich nicht, gnädige Frau. Ich weiß, wie tadellos Ihr Verhalten ist. Aber wissen es auch die anderen?»
«Welche anderen?»
«Nun, ich spreche von den Grundherren der Umgebung. Seit Monaten schlagen Sie jede Einladung aus, die man Ihnen überbringt. Ebenso wenig sind Sie bereit, die benachbarten Schlossherren in Boltenhusen zu empfangen. Das gibt Anlass zu Spekulationen. Man redet über Sie, Frau von Ostry.»
Paulina winkte verärgert ab. «Was kümmern mich die anderen? Ich habe lediglich den Wunsch, unbehelligt auf meinem Schloss zu leben. Ist daran etwas Verwerfliches?»
«Ihr Gatte hat sich in der kurzen Zeit, die er hier war, immerhin einigen Nachbarn vorgestellt. Wohingegen Sie … nun, die Leute in der Gegend müssen den Eindruck bekommen, dass Sie etwas zu verbergen haben! Man hat die Geschichte mit Ihrer Mutter noch nicht vergessen.»
Paulina hätte am liebsten laut aufgelacht, wenn ihr nicht die Ernsthaftigkeit der durch Kollwitz erhobenen Vorwürfe bewusst gewesen wäre. Nie zuvor hatte sie ein schicklicheres Leben geführt als hier in Boltenhusen, und ausgerechnet dafür sollte sie sich nun rechtfertigen? Würden die Schatten der Vergangenheit sie denn niemals loslassen?
Nun gut. Sie würde an Pierre schreiben, ihm die Lage schildern und ihn bitten, für ein paar Wochen nach Boltenhusen zu kommen, um jeglichen Argwohn im Keim zu ersticken. Sie würden ein oder zwei Empfänge geben, damit die Gemüter sich beruhigten. Die winterliche Ballsaison in Berlin begann ohnehin erst im November – er würde also nicht allzu viel verpassen.
Ungeachtet dessen fand Paulina, dass es an der Zeit war, der Freimütigkeit des Verwalters Einhalt zu gebieten.
«Wie Sie bereits selbst festgestellt haben, Herr Kollwitz», sagte sie kühl, «es geht Sie nichts an, was zwischen meinem Gatten und mir vorgeht. Wir sollten uns also wieder den praktischen Dingen zuwenden. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass ich beschlossen habe, den italienischen Kamin für den Festsaal bauen zu lassen.»
Kollwitz war Untergebener genug, um zu wissen, wann jeglicher Einwand gegenüber seiner Herrschaft zwecklos war. Mit der gewohnten Sachlichkeit besprachen Paulina und Kollwitz die nötigen Vorbereitungen für den Bau des neuen Kamins, und kurze Zeit später befand sich der Verwalter auf dem Rückweg zu seinem Haus.
Paulina zog es nach dem Gespräch in den Park hinaus. Die Dämmerung hatte eingesetzt, und es versprach, ein klarer, schöner Spätsommerabend zu werden. Die ersten Blätter fielen von den Bäumen, und Paulina atmete genießerisch den frischen Duft nach Laub und feuchter Erde ein.
Sie hatte in den letzten Monaten mehrmals darüber nachgedacht, für immer in Boltenhusen zu bleiben. Umso schmerzlicher wurde ihr klar, dass der Aufenthalt in Mecklenburg wohl nur eine kurze Etappe in ihrem Leben bleiben würde. Aber wollte sie wirklich in ihrem Alter als einsame Frau in der Provinz versauern, während ihr Gatte sich in Berlin vergnügte? Was hoffte sie eigentlich hier zu finden?
Als Paulina zurück in den Schlosshof kam, sah sie zu ihrem Unbehagen die Kutsche des Grafen Heimroth dort stehen. Er und seine Gattin waren die Einzigen, die sich von Paulinas Abweisungen nicht einschüchtern ließen und immer wieder hartnäckig bei ihr vorsprachen. Wahrscheinlich würden die beiden sie zu ihrem Fest einladen, das schon seit Tagen in aller Munde war.
Paulina stieg seufzend die Treppe zum Schloss hinauf. Um ihren besinnlichen Abend war es wohl geschehen. Sie würde nicht umhinkommen, den Graf und die Gräfin zum Souper zu bitten.
Kapitel 27
Neubrandenburg, September 1794
Paulina bereute es schon bald, sich an den Spieltisch gesetzt zu haben. Innerhalb weniger Minuten verlor sie eine beträchtliche Summe. Auch jetzt war ihr Blatt miserabel. Sie blickte auf die Baroness von Mahringen, die ihre Nachbarin beim Souper gewesen war und sie zu der Partie
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