Die Seidenbaronin (German Edition)
Berlin – hier ist es sicher viel amüsanter!»
Der Vorschlag der Prinzessin klang verlockend. Wer weiß – vielleicht ergab sich ja mit Luises Fürsprache doch eine Gelegenheit, bei Hof vorgestellt zu werden. Man könnte ins Spiel bringen, dass Pierre von einem hugenottischen Grafengeschlecht abstammte.
«Das Leben in Berlin ist ein einziges Fest», schwärmte Luise. «Dagegen war es in Darmstadt todlangweilig. Mein Gatte schimpft immer, weil ich nicht genug bekommen kann. Besonders jetzt im Karneval ist es wundervoll. Rauschende Ballnächte mit Tanz bis zum Morgengrauen, Kostümfeste, Opernaufführungen … Könnte Ihnen das nicht gefallen? Ach, bleiben Sie doch noch ein wenig in meiner Nähe!»
Schon überkamen Paulina Zweifel. Der preußische Hof war für seine strenge Etikette bekannt. Die Hofgesellschaft würde eine Vertraute der Kronprinzessin misstrauisch unter die Lupe nehmen und dann, wenn man herausgefunden hatte, wer diese Crefelder Kaufmannsgattin war, würde man sich gnadenlos auf sie stürzen. Der Gedanke daran ließ sie zusammenzucken.
«Mein Gatte und ich werden darüber nachdenken, Hoheit», versprach sie der Prinzessin.
Luise stand auf. «Ich darf nicht zu lange fortbleiben, meine liebe Freundin. Die Gräfin Voß wird Sie aufsuchen, wenn es mir möglich ist, Sie zu treffen.» Ihre Augen strahlten. «Ich liebe Heimlichkeiten! Darin waren Therese und ich ganz verschieden, erinnern Sie sich? Immer war ich es, die hinter dem Rücken von Mademoiselle de Gélieu oder Großmutter George Dummheiten gemacht hat. Therese hat dagegen die Anstandsperson gespielt. Und Sie … Sie gerieten in einen Zwiespalt, wenn ich versuchte, Sie zu einer Posse anzustiften. Sie wollten Therese nicht verärgern, hätten aber zu gerne mitgemacht, habe ich recht? Ach, war das eine schöne Zeit!»
Paulina drückte Luises Hand. «Es war die schönste Zeit meines Lebens, Hoheit», sagte sie leise. «Richten Sie Therese meine herzlichen Grüße aus. Ich wünsche ihr alles Glück der Welt!»
«Das werden Sie ihr bald selbst sagen können. Au revoir, meine Freundin. Diesmal werden nicht fünf Jahre vergehen, bis wir uns wiedersehen!»
Paulina sah der Prinzessin nach und machte sich nachdenklich auf den Weg nach oben. Ein Leben in Berlin, in der Nähe des preußischen Kronprinzenpaars, mit Luise als Freundin. Musste sie eine solche Gelegenheit nicht beim Schopf ergreifen?
Sie erreichte das Foyer und sah Pierres jungen Offiziersfreund lässig an einer Säule lehnen. Als er die junge Frau entdeckte, breitete sich ein triumphierendes Grinsen auf seinem Gesicht aus.
Es war dieses hässliche kleine Lächeln, das Paulina zur Besinnung brachte. Plötzlich wusste sie genau, was sie tun musste. Sie machte auf dem Absatz kehrt und verließ das Theater, ohne sich umzuschauen. Eilig lief sie zum Gasthof zurück und jagte Annas Kinderfrau aus dem Bett.
«Wecken Sie die Dienstboten und packen Sie unsere Sachen. Sagen Sie dem Kutscher, er soll für morgen früh den Wagen bereitstellen! Wir reisen nach dem Frühstück ab!»
Die Kinderfrau sah sie aus großen Augen an. «Und der gnädige Herr, Madame?»
Der gnädige Herr kam erst im Morgengrauen zum Gasthof zurück, übernächtigt und mit dem Bedürfnis, sich sofort schlafen zu legen. Er fand seine Familie in hektischer Betriebsamkeit. Die Koffer waren schon in der Kutsche verstaut, seine Gattin und seine Tochter standen in Reisekleidung bereit.
Paulina empfing ihn mit eisiger Miene. «Sie kommen gerade noch rechtzeitig. Wo auch immer Sie die heutige Nacht verbracht haben, falls Sie währenddessen von einer Vorstellung bei Hof geträumt haben sollten, muss ich Sie leider enttäuschen. Wir reisen auf der Stelle nach Boltenhusen ab.»
Als sie mit ihrer Tochter auf dem Schoß in der Kutsche saß, fiel ihr Blick auf das Kronprinzenpalais, das nicht weit vom Gasthof lag.
«Es werden wohl doch wieder viele Jahre vergehen, bis wir uns wiedersehen», murmelte sie vor sich hin.
Kapitel 26
Boltenhusen, September 1794
Das kleine weiße Schloss tauchte zwischen den Bäumen auf. Die Giebel seiner beiden Seitenflügel ragten hoch in den tiefblauen Mecklenburger Spätsommerhimmel. Ein leichter Wind wehte vom Baltischen Meer her über das Land.
Auch nach so vielen Monaten ließ dieser Anblick Paulinas Herz immer noch höher schlagen. Nie würde sie sich daran sattsehen können. Gab es etwas Schöneres, als in ihrer offenen Kutsche durch die Eichenallee von Boltenhusen zum Schloss zu fahren?
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