Die seidene Madonna - Roman
Tours zu unterzeichnen.
Ihre Idee, von der sie restlos begeistert war, bestand darin, ein
Stachelschwein mit einer Krone auf dem Rücken in den Teppich zu weben. Das Stachelschwein war nämlich das Wappentier von König Ludwig XII., so wie seine Frau Anne de Bretagne einen Hermelin und die Familie d’Angoulême einen Salamander im Wappen trug. Das war eine grandiose Idee, die sie niemandem verraten wollte.
Die beiden Kaufmänner waren neugieriger als ihre Söhne und blinzelten Alix aufmunternd zu.
»Und einem was?«, fragte Sire Le Viste lächelnd.
»Einer Signatur, die ich in den Teppich weben will und die mir vermutlich noch viel Ärger einbringen wird«, antwortete Alix ohne zu zögern. »Ich meine den Buchstaben ›T‹, den ich als Erste von allen Webern aus Tours verwendet habe.«
»In Lyon darf jeder Webermeister das ›L‹ für Lyon verwenden«, sagte Robert Mirepoix. »Das ist doch kein Verbrechen!«
»Doch, Sire Mirepoix! Weil ich eine Frau bin, und weil ich die Idee zuerst hatte und in die Tat umgesetzt habe. Das ist das Verbrechen.«
Seit dem Morgengrauen waren sie zügig unterwegs. Bruder André ließ Jason ruhig traben, der hatte aber immer wieder einmal Anfälle von Übermut und Begeisterung, woraufhin er plötzlich galoppierte und ihn der Mönch kaum bändigen konnte.
Julio und Alix saßen in der Kutsche und betrachteten durch die kleinen Fenster auf beiden Seiten die vorüberziehende Landschaft, und es kam ihnen so vor, als würde sie sich ihnen mit jeder Drehung der Wagenräder in neuen Farben und Formen präsentieren.
Alix hatte die Beine übereinandergeschlagen, dann zog sie sie an, umschlang ihre Knie mit beiden Armen und setzte eine nachdenkliche Miene auf. Bei einem plötzlichen Ruck hätte sie beinahe
das Gleichgewicht verloren und richtete sich wieder auf, um nach draußen zu sehen. Die Kutsche fuhr immer schneller. André - oder vielleicht auch Jason - dachte anscheinend, sie sollten sich ein wenig beeilen.
Jason litt darunter, ständig eingespannt zu werden. Sobald sie in Rom waren, wollte ihn Alix reiten, damit er nicht aus der Übung kam. Sie erinnerte sich daran, dass ihr Jacquou erzählt hatte, in Rom gäbe es einige breite Straßen, auf denen man sehr schön ausreiten konnte.
Alix hockte sich wieder nachdenklich hin. An Lyon bewahrte sie eine so angenehme Erinnerung, dass sie in Gedanken noch dort war. Von Dijon hatte sie dagegen kaum etwas mitbekommen. Weil die Zeit drängte, hatten sie dort nur kurz Halt gemacht. Alix blieb gerade einmal genug Zeit, einen Blick auf die Türme der gotischen Kirchen zu werfen, die dem prächtigen Palast der Herzöge von Burgund in nichts nachstanden, der alle Blicke auf sich zog. Sie hatte sich deshalb fest vorgenommen, eines Tages nach Dijon zurückzukommen.
»Seht doch nur, Alix! Man kann die Alpen sehen!«
»In den Höhen liegt Schnee, und André glaubt, dass es nicht einfach wird, sie zu überqueren. Dabei kann ich es kaum noch erwarten, endlich nach Rom zu kommen.«
»Bis dahin haben wir noch einen weiten Weg vor uns.«
Und tatsächlich erwies sich die Alpenüberquerung als ziemlich schwierig, weil so früh im Jahr die meisten Pässe noch schneebedeckt waren. Jason durfte nur sehr langsam gehen, damit er auf den schmalen Wegen nicht ausrutschte, weshalb sie nur schleppend vorwärtskamen und einige Male in Bergdörfern übernachten mussten, ehe sie am nächsten Morgen wieder aufbrechen konnten.
Bis Turin war es noch ein gutes Stück, und auf dem Aosta-Pass, der von Schweizer Soldaten bewacht wurde, fingen die Probleme
erst richtig an. Die Straße, die über den Mont Cenis in den französischen Alpen von Lyon nach Turin führte, war schneebedeckt und eisglatt.
Abbé Mirepoix musste absteigen und Jason an der Longe führen; Julio half ihm dabei, indem er die Kutsche von hinten anschob. Alix hatte sich in ihren warmen Umhang gehüllt und ging zu Fuß hinterher, um unnötiges Gewicht zu vermeiden. Es schneite, und sie mussten auch das Pferd zudecken, damit es sich keine Erkältung zuzog. Man hörte so oft von Pferden, die dem kalten Winter zum Opfer fielen.
Glücklicherweise herrschten trotz Schnee und Glatteis frühlingshafte Temperaturen. Zu dieser Jahreszeit taute die Sonne sehr schnell den Schnee weg, der über Nacht gefallen war, weshalb man tagsüber einigermaßen sicher auf den gefährlichen Wegen unterwegs war.
Als André das Pferd gerade langsam auf eine steile Kurve zuführte, rechts daneben der Abgrund, der noch weiß
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