Die seidene Madonna - Roman
für sich beansprucht. Es heißt, dass man mit ihm keine Geschäfte machen kann. Trotzdem könnt Ihr Lyon dort nur mit seiner Unterstützung ins Spiel bringen. Solltet Ihr das fertigbringen, mein lieber André, mache ich Euch zum Bischof!«
André Mirepoix lächelte nur zum Zeichen seines Einverständnisses.
»Fürs Erste würde mir der Domherr schon genügen«, meinte er bescheiden. »Alles Weitere können wir sehen, wenn sich die Sache entwickelt.«
»Von welcher Entwicklung sprecht Ihr da, wenn ich fragen darf?«
»Von einem Handel mit dem Morgenland«, sagte André.
»Wieso denn ausgerechnet mit dem Morgenland?«
»Weil ich alles über dieses ferne Land gelernt habe. Ich kenne seine Grenzen und Küsten, seine Gefahren, seine Stärken und seine Ressourcen.«
Vater und Sohn Le Viste pfiffen anerkennend.
»Und wo habt Ihr das alles gelernt?«
»Die Zurückgezogenheit eines Klosters ist einem intelligenten Menschen, der warten kann, unter Umständen sehr nützlich«, antwortete der Mönch und lächelte vielsagend.
»Ehe wir uns in eine Debatte über deine Pläne mit den Levantinern stürzen, sollten wir über ein wichtigeres Thema sprechen«, meldete sich Robert Mirepoix zu Wort. »Wohin willst du denn dort zunächst reisen?«
»Nach Rom.«
»Ich meine, du solltest besser mit Florenz beginnen. In Rom kennst du doch niemanden.«
»In Rom habe ich viel bessere Beziehungen als in Florenz, deshalb will ich zuallererst dorthin.«
»Und wie willst du das anstellen?«
»Ich fahre mit Dame Cassex nach Rom, deren Verwandtschaft mit Kardinal Jean de Villiers unbestritten ist. Ihm dürfte es ein Leichtes sein, mich im Vatikan einzuführen.«
Jetzt drehten sich alle nach der klugen Alix um, die bisher kein Wort gesagt hatte. Sie hatte aber genau zugehört und jeweils das Für und Wider zu jeder Frage abgewogen.
André ging auf sie zu und bat sie um ihre Meinung.
»Bruder André hat recht. Kardinal Jean de Villiers war der Onkel meines verstorbenen Mannes. Er hat uns sogar verheiratet, als er sich vorübergehend im Val de Loire aufhielt. Mit Sicherheit hilft er mir aus den Schwierigkeiten mit meiner Arbeit und meiner Werkstatt.«
»Aber …«
»Kardinal Jean de Villiers ist ein Halbbruder des Sohns von Thomassaint Cassex, Webermeister in Brügge, dessen Namen ich trage. Er wird mir helfen. Und sobald ich aus Italien zurück bin, werde ich nach Flandern reisen. Ich muss unter allen Umständen der Gilde mein Meisterstück vorlegen, damit ich Handel mit meinen Erzeugnissen treiben darf.«
»Was ist das für eine Arbeit?«
»Ein Millefleurs-Teppich über die Allegorien der heiligen Jungfrau und des Einhorns. Aber keine Angst, es ist keine Nachahmung der Teppiche, deren berühmter Auftraggeber Ihr seid, Messire Le Viste. Mein Teppich ist fast ganz aus Goldfaden gewebt.«
»Aus Goldfaden!«
»Ich habe die große Ehre, für die Comtesse d’Angoulême zu arbeiten, die mir schon sehr geholfen hat. Sie hat mich mit dem schönen Material versorgt.«
»Sprecht Ihr von Louise d’Angoulême?«
»Ja, der Mutter des Thronfolgers der französischen Krone.«
»Aha!«, meinte Le Viste und kratzte sich am Kopf, während sich Mirepoix zerstreut das Kinn rieb.
Beide schienen so beeindruckt, dass Bruder André lächeln musste. Er warf Alix einen kurzen Blick zu, den diese sichtlich erleichtert erwiderte.
»Habt Ihr denn einen Auftrag von der Comtesse d’Angoulême?«
»Oh ja! Sie hat bei mir Teppiche mit dem Einhorn-Motiv bestellt und einen anderen, den ich Begegnung am Hofe nenne. Deshalb muss ich ja auch so schnell wie möglich meine Werkstätten wieder aufbauen. Die Bestellung von König Louis XII. musste ich leider schon vorübergehend an Pariser Weber abgeben.«
»Ihr arbeitet für den König!«
Jetzt konnte sich auch Alix ein Lächeln nicht verkneifen, und das von André wurde immer breiter.
»Ja, ein großes Schlachtenbild über den Trojanischen Krieg mit griechischen Helden, Pferden mit Federbuschen, kostbar gekleideten Herren, Wimpeln, Bannern mit Sinnsprüchen und einem …«
Sie unterbrach sich plötzlich vor lauter Überraschung über das Wort, das sie gerade hatte aussprechen wollen - ein Gedanke, der ihr gerade eben blitzartig gekommen war. Verflixt! Warum eigentlich sollte sie diese Idee einem anderen überlassen, anstatt sie selbst in die Tat umzusetzen? Auch wenn sie sich dadurch womöglich noch größere Komplikationen zuzog als durch ihre gewagte Initiative, ihre Teppiche mit dem »T« für
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