Die seidene Madonna - Roman
würdet, mein lieber Vater?«, entgegnete der Abbé. »Nun, ich glaube, jetzt entwickeln sich die Dinge ganz nach Eurem Sinn. Ich bin bereit.«
»Mein lieber Le Viste«, begrüßte Jacques mit einem herzlichen Händedruck einen der beiden Begleiter von Robert Mirepoix. »Ich freue mich schon sehr auf die Unterhaltung mit Euch, vor allem falls mein Vater meinen Vorschlag ablehnen sollte.«
»Habe ich dir schon jemals irgendetwas verweigert, seit du geboren wurdest, mein Sohn?«, sagte Sire Mirepoix mit gespielter Entrüstung. »Und dabei kann ich deine vielen Wünsche schon gar nicht mehr zählen!«
»Das kann ich allerdings bestätigen, Ihr habt ihm schon einiges zugestanden«, sagte der Abbé lächelnd.
»Eben, und deshalb bist jetzt du an der Reihe. Was möchtest du von mir, André?«
»Er möchte sein Schneckenhaus verlassen«, mischte sich Jacques ein, »und dabei müssen wir ihm helfen, Vater.«
»Die Priorei Reims sagt mir nicht mehr zu«, unterstrich André sachlich.
»War es denn nicht deine Idee, dorthin zu gehen, mein Junge?«
»Doch, Vater. Damals habe ich wirklich nur daran gedacht, mich bei den Mönchen zu bilden.«
»Und was wollt Ihr heute, André?«, fragte Jean le Viste, während Jacques seinen Sohn, der sich noch nicht zu Wort gemeldet hatte, wie einen Bruder begrüßte.
»Heute will ich Florine und Lira, weil ich nach Italien reise, um dort mit Seide zu handeln.«
Der alte Sire Le Viste legte André den Arm um die Schulter. Er war ein kantiger, stattlicher Mann mit einem gutmütigen Wesen, von dem man sich nicht täuschen lassen sollte; wer ihn kannte, wusste, dass es ihm nur ums Geschäft ging. Den hohen Anspruch und den absoluten Willen zum Erfolg als Geschäftsmann hatte er bereits von seinem Vater geerbt. Die Familie Le Viste war bekannt dafür, dass sie die sechs Wandteppiche Die Dame mit dem Einhorn in Auftrag gegeben hatte, die mittlerweile von zahlreichen kleinen Webern skrupellos kopiert wurden, während sich andere mit mehr Gewissen, wie zum Beispiel auch Alix, dort nur Anregungen für ihre eigene Arbeit holten.
Die Familie Le Viste war jedenfalls seit Generationen eine bedeutende Kaufmannsfamilie, und André entging das begierige Leuchten in den Augen seiner potentiellen Partner nicht. Ein Lyoner Seidenkontor in Florenz oder in Rom zu besitzen, wäre ganz nach dem Geschmack von Jean Le Viste.
»Ich habe doch immer gewusst, dass wir Euch eines Tages aus
Eurem Schneckenhaus holen würden«, sagte er, »aber Euer verflixter Vater hatte bereits alle Hoffnung aufgegeben. Ich glaube sogar, ich habe Eure Klugheit früher als er erkannt«, schmeichelte er ihm und tätschelte André die Schulter. »Aber Ihr hattet Euch ja dem Priestertum verschrieben, was ganz und gar nicht in unserem Sinne war.«
»Jetzt stehe ich aber zur Verfügung«, antwortete der Mönch. »Ich bitte um Eure Unterstützung, damit ich den Seidenhandel in Italien aufbauen kann.«
»Was genau braucht Ihr denn?«, fragte Le Viste und betrat die Eingangshalle, die einen Großteil des Erdgeschosses beanspruchte, und Jacques übernahm es, für seinen Bruder zu antworten.
»Zuallererst braucht er einen Posten als Domherr in einem angesehenen Bistum. Als einfacher Mönch stünde er ständig vor irgendwelchen Hindernissen. Dauernd würde man ihn nach Vollmachten fragen, nach von seinen Vorgesetzten unterzeichneten Verträgen, Referenzen und ich weiß nicht was sonst noch für Steine man ihm in den Weg legen würde.«
»Das erscheint mir äußerst einleuchtend«, sagte Robert Mirepoix und nickte zustimmend, »aber er wird auch Kredite benötigen.«
»Zu welchem Zinssatz?«, wollte der Mönch wissen und schielte kurz in Richtung Alix, um sich zu vergewissern, dass ihr nichts von dem Gespräch entging. Was heute gesagt wurde, konnte ihr einmal bei ihren eigenen Unternehmungen nützlich sein.
»Der Zins sollte natürlich so niedrig wie möglich sein«, antwortete Jean Le Viste, »und mit kurzfristigen Rückzahlungssätzen, damit die Belastung nicht zu hoch wird. Nehmt nie Geld bei einem Zinsgeber niedriger Herkunft auf, das sind die größten Diebe. Sie verlangen viel zu hohe Zinsen und streichen einen Großteil des Ertrags ein.«
»Natürlich nicht!«, murmelte André und sah wieder zu Alix, die ganz Ohr war.
»In Florenz könntet Ihr Euch an den Kaufmann Angelo Ambrogini wenden, der ein schönes Anwesen mitten in der Stadt hat. Er ist ein gerissener kleiner Florentiner, der den gesamten Seidenhandel in Florenz
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