Die seidene Madonna - Roman
amüsierte sich wohl eher über diesen weiblichen Zwist und hatte ihre Bedingungen uneingeschränkt akzeptiert.
Aber Königin Anne war eine kluge Frau, die keinen Widerspruch duldete. Wenn der König nicht anwesend war, folgte man besser ihren Befehlen und hielt sich ansonsten im Hintergrund.
»Nun denn«, sagte Anne und erhob sich, »wir werden Frankreichs Schicksal nicht am Morgen einer großen Reise entscheiden! Außerdem bin ich erschöpft. Diese Umzüge bringen mich schier um.«
»Stammt die Idee nicht von Euch? Und bin ich nicht verpflichtet, Euch zu folgen? Schließlich bedeutet diese Reise nach Amboise für Euch eine Abwechslung, und ebenso wird es Euch die größte Freude bereiten, von dort wieder aufzubrechen, wenn der Tag gekommen ist.«
»Sehr richtig«, sagte Anne de Bretagne, »und der Tag ist gekommen, wenn ich einen Sohn zur Welt gebracht habe.«
»Darüber bin ich mir im Klaren. Aber ist dem König nicht daran gelegen, dafür zu sorgen, dass der rechtmäßige Dauphin seine ersten Lebensjahre ohne Beeinträchtigungen verbringen kann, ehe er uns endgültig auf unsere Ländereien zurückschickt?«
Die kaum verhohlene Beleidigung brachte die Königin nicht aus der Fassung. Sie verwendete die Anspielung einfach zu ihrem eigenen Vorteil.
»Meine Liebe, Charles VIII. habe ich vier Kinder geschenkt. Gewiss, keines davon hat überlebt, aber ich fühle mich imstande, Louis XII. doppelt so viele Nachkommen zu schenken. Eure Qualen sind noch längst nicht zu Ende!«
Endlich lächelte sie, machte eine graziöse Handbewegung und durchbohrte ihre Rivalin mit Blicken, weil sie spürte, dass sie sie verunsichert hatte. Aber auch Louise ließ sich nicht aus der Fassung bringen und antwortete nur mit einem höflichen Kopfnicken, nicht mit entsetzter Miene.
»Ich werde sie alle geduldig auf mich nehmen.«
Die beiden Frauen gaben sich heiter und gelassen. Man hätte meinen können, sie tauschten gerade irgendwelche Belanglosigkeiten aus. Dabei war ihre Debatte so heftig, dass sie nicht hörten, wie leise an die Tür geklopft wurde.
Das Zimmer, in dem sie sich diesen erbitterten Wortwechsel lieferten, war gerade so gut wie leer geräumt worden. Im Raum nebenan befanden sich nur noch eine kleine Truhe, ein Schreibtisch und ein Schemel. Eine Dienerin schlüpfte durch eine rückwärtige Tür ins Zimmer und grüßte die Königin. Es war Francette, ihre Leibzofe, die die wenigen intimen Augenblicke mit ihr verbrachte, die sie ihr zugestand.
»Ich habe geklopft, Eure Hoheit, aber Ihr habt mich wohl nicht gehört.«
»Was willst du denn, Francette? Ach so, ja natürlich! Bring mir meine Seidenpantoffeln. Diese Schuhe hier drücken schrecklich. Ich kann es kaum noch ertragen.«
Und während Francette Anne die Schuhe auszog und ihr die bequemen schwarzen Pantoffeln überstreifte, fragte sie ganz unbekümmert und ohne auf Louise zu achten:
»Sollen wir den Wandteppich in dem kleinen Betzimmer abnehmen, königliche Hoheit?«
»Nein, lasst ihn hängen. Er ist ein Geschenk meines verstorbenen Mannes. Es würde sich nicht gehören, ihn nach Amboise mitzunehmen.«
Als das Kammermädchen gehen wollte, rief sie sie noch einmal zurück.
»Die Tapisserien im Zimmer nebenan sollt ihr aber alle abnehmen.«
Francette ging zur Tür, dann fiel ihr jedoch ein, dass sie noch etwas vergessen hatte, und sie fragte schüchtern:
»Was ist mit Eurem Schreibtisch, Hoheit?«
»Du weißt sehr wohl, dass ich ohne meinen Schreibtisch nur ein halber Mensch bin, Francette. Sag dem Lakaien, der ihn holt, er soll sehr vorsichtig dabei vorgehen, damit die Perlmuttintarsien nicht noch mehr Schaden nehmen. Es sind ohnehin bereits mehrere beschädigt. Wir müssen einen Handwerker kommen lassen, der sie reparieren soll, sobald wir in Amboise sind. Den Schreibtisch im Zimmer dahinter könnt ihr stehen lassen, er ist wertlos.«
Sie nahm ihren Rockschoß zur Seite und entließ Francette. Louise blickte gedankenverloren aus dem Fenster, hinter dem man nur den grauen Himmel und die Kronen von ein paar kahlen Bäumen sah. Anne trat zu ihr.
»Chinon ist längst nicht so komfortabel und geräumig wie Amboise«, sagte sie. »Das hat den großen Vorteil, dass wir uns dort nicht ständig über den Weg laufen müssen.«
Mit ihrer zarten weißen Hand streichelte sie genüsslich das weiche Fell ihres Hermelinkragens.
»Ihr werdet mit Euren Kindern, de Gié und Eurem Gefolge den Westflügel bewohnen, während der König, ich und mein Hofstaat das
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