Die seidene Madonna - Roman
Italien aufbrechen wollten, hat die Königin beschlossen, von Chinon nach Amboise umzuziehen, um auf andere Gedanken zu kommen. Vor uns liegt also eine Reise, die zwar nicht besonders lang ist, aber mit Sicherheit sehr anstrengend sein wird.
Die Königin lässt alles einpacken, und sie beginnt immer bereits eine Woche vor der Abreise mit den Vorbereitungen. Sie nimmt alles mit, was ihr gehört, und sogar manches, was ihr nicht gehört. Deshalb hätten die Stoffballen leicht in ihrem Gepäck landen können, wenn sie mir der König nicht vor seiner Abreise gegeben hätte.
Mit den Truhen, den Tischen, den Sesseln und den schönen Möbeln, mit den Schüsseln, dem ganzen Geschirr und den Luxusgegenständen, von denen Ihr euch keine Vorstellung machen könnt, meine liebe Alix, und mit den kostbaren Tapisserien, die Ihr vielleicht eines Tages sehen und Euch mit kundigem Auge daran erfreuen könnt, machen wir uns auf den Weg nach Amboise. Auf dem Land werden die Bauern am Wegesrand stehen und uns nachsehen, und in den Städten und Dörfern werden die Leute die Straßen säumen und uns laut zujubeln.
Und dabei frage ich mich die ganze Zeit, ob mein kleiner Cäsar das auch einmal erlebt, wenn er König ist.
In Amboise werden wir im Flügel neben dem Trakt mit den königlichen Gemächern untergebracht sein. Natürlich sind unsere Zimmer weniger kostbar eingerichtet und nicht so groß wie die des Königs und der Königin. Soweit ich weiß gibt es aber zahlreiche Fenster, durch die wir einen herrlichen Blick auf den Fluss und die Landschaft haben dürften.
Ich habe gehört, dass es in den Gärten von Amboise im Frühling nur so blüht und duftet und sich das Schloss im Fluss spiegelt. Sobald die ersten Blumen aus der Erde spitzen, möchte ich Euch zu uns einladen, liebe Alix. Dann können wir endlich wieder über Die Dame mit dem Einhorn sprechen, die mir - und Euch - schon so lange im Kopf herumgeht.
Dieser Stoff ist erst der Anfang. Der König erklärt sich bestimmt bereit, meinen Auftrag an Euch zu bezahlen. Während ich darauf warte, sehne ich mich danach, ein wenig älter zu werden, weil ich gegenwärtig nur für meine Kinder lebe, um ihrem Glück in keiner Weise im Weg zu stehen.
Lasst es Euch gut ergehen, meine liebe Alix, und schreibt mir, was es Neues bei Euch gibt.
Eure ergebene Louise.
3
Vor den Toren Mailands lief Louis XII. in seinem Zeltpavillon aus blauem, mit weißen Lilien verziertem Samt gedankenverloren auf und ab. Die Armee war ganz in seiner Nähe.
Er hatte eine unruhige Nacht hinter sich und wusste nur noch, dass er zuviel an Anne und das Kind gedacht hatte, das sie erwartete. Diese Überlegungen waren allerdings mehr als verständlich, wenn man bedenkt, dass er vielleicht endlich ein Kind von seinem eigenen Fleisch und Blut bekam.
Seit ihm Anne gesagt hatte, dass sie guter Hoffnung war, bemühte er sich, ihr jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Ihr erster bestand darin, Amboise zu verlassen und nach Blois zu gehen, um nicht mehr die Gesellschaft von Louise d’Angoulême ertragen zu müssen.
Der König hatte dagegen nichts einzuwenden gehabt, im Gegenteil, er war begeistert, weil Blois zentraler gelegen, aber genauso angenehm wie seine anderen Residenzen im Loiretal war, und er sich dort sicher fühlen konnte.
Aus gutem Grund hatte Louis große Umbauarbeiten an seinem Schloss in Blois in Auftrag gegeben - so wie vor ihm Charles VII. in Amboise. Anne verdiente ein Schloss, das ihren Ansprüchen gerecht wurde, und eine Stadt, die die Theaterbühne für ihren glanzvollen und luxuriösen Hofstaat sein sollte.
Louis war also mehr als zufrieden - die Königin schien in allen Punkten einverstanden. Aus Angst, ihr zu missfallen, hatte er abgesehen von seinen Eroberungsplänen für Neapel noch keinen
einzigen eigenen Wunsch zu äußern gewagt. Dabei lag ihm sehr viel daran, in Blois zu leben. Die Gefahr einer Volkserhebung war dort gleich null, und er musste auch keine Konkurrenz fürchten wie zum Beispiel in Orléans, wo der Bischof das Lehensrecht über das gesamte benachbarte Territorium besaß.
Die Einwohner von Blois äußerten bereits lautstark ihre Begeisterung über die Vorstellung, den König ganz in ihrer Nähe zu haben. Die wechselnden Ehen des Königs hatten für sie nur Vorteile. Seit seiner Thronbesteigung hatte ihnen der König das Privileg der Steuerfreiheit zugestanden, weshalb der Handel in der Region blühte. Er wünschte sich in erster Linie eine von den anderen Grafschaften
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