Die seidene Madonna - Roman
Münze aus ihrer Börse und reichte sie dem Händler.
»Hier, nehmt. Da habt Ihr einen Florin.«
Er nahm das Geld und sagte nichts, wahrscheinlich bereute er, dass er nicht auf seine Eingebung gehört hatte. Dann nahm er das Mädchen am Arm und schob es weg.
»Los, verschwinde! Und lass dich ja nicht wieder blicken.«
Alix fing das Mädchen auf und nahm es mit.
»Wie heißt du?«
»Angela.«
»Ich heiße Alix. Ich wohne in Tours und bin die Witwe des Webermeisters Jacques Cassex. Ich bin hier in den Norden gekommen, weil ich jemanden brauche, der mir Geld leiht, damit ich meine Werkstätten wieder aufbauen kann, die mir ein Feuer zerstört hat. Außerdem will ich der Webergilde des Nordens mein Meisterstück präsentieren, damit ich meinen Beruf als Weberin ohne Einschränkungen im Val de Loire ausüben kann.«
Das Mädchen nickte nur.
»Also, Angela, du kommst jetzt mit mir nach Brügge, wo ich einen Geldverleiher treffe. Dann fahren wir zurück nach Lille, wo ich meinen Wandteppich der Gilde vorlegen will.«
Das Mädchen nickte wieder. Sie war schmutzig und schlecht gekleidet, und ihr trauriger Anblick störte Alix, aber sie sagte nichts dazu und meinte nur:
»Schade, dass ich mich jetzt nicht von deinen Fähigkeiten überzeugen kann. Egal, beschlossen ist beschlossen, und ich warte nun eben, bis wir im Val de Loire zurück sind, bis ich sehe, was du kannst.«
»Ihr könnt mir glauben, wenn man mir sagt, was ich zu tun habe, mache ich das bestimmt gut.«
»Mehr will ich auch gar nicht. Sei aufmerksam und gewissenhaft - der Rest kommt von selbst.«
»Ich verspreche Euch, dass ich ganz bald ein guter Lehrling sein werde.«
»Umso besser, dann wirst du auch bald eine gute Arbeiterin werden.«
Sie kamen an eine Kreuzung von zwei Ladenstraßen. Lampen flackerten, und hie und da wurden Fackeln angezündet, die die Silhouetten der zahlreichen Passanten an die Hauswände warfen, die so spät wie möglich nach Hause gehen wollten.
»War deine Mutter Italienerin, wenn sie Italien auf einer venezianischen Galeere Richtung Frankreich verlassen hat?«
»Ja, wir kommen aus der Provinz Urbino.«
»Sprichst du etwa Italienisch?«
»Ja, natürlich«, antwortete das Mädchen freudig. »Das ist meine Muttersprache.«
»Dann weiß ich jetzt, worin deine Aufgabe während unserer Reise in den Norden besteht. Du musst mit mir Italienisch sprechen.«
Angelas Augen strahlten vor Freude.
»Möchtest du das gern machen?«
Angela strahlte sie an, konnte aber vor lauter Aufregung nichts sagen.
»Du bist jetzt meine Lehrerin. Mein Freund Julio ist in Rom geblieben, jetzt habe ich keinen mehr, der mit mir Italienisch spricht, und das fehlt mir.«
Das stimmte zwar nicht ganz, weil sich Alix gelegentlich mit Leo auf Italienisch unterhielt, aber mit ihm konnte sie nicht so reden wie mit Julio. Der war auf Drängen von Jean im Vatikan geblieben, um sein Meisterstück zu vollenden, das er zur gleichen Zeit wie Alix präsentieren sollte. Julio, Alix und Kardinal de Villiers sollten sich in Lille zur Versammlung der Gilde treffen.
Alix blieb stehen, sah sich um und stellte fest, dass es nicht mehr weit war bis zu dem Gasthaus, in dem sie abgestiegen war. Sie hatte die Hauptstraße erkannt, von der man abbiegen musste, um dem noch immer dichten Verkehr auf dem Marktplatz auszuweichen.
»Jetzt nimmst du erstmal ein Bad. Und morgen kaufen wir dir dann neue Kleider, damit du dich mit mir sehen lassen kannst.«
Angela seufzte erleichtert. Die schreckliche Zeit seit dem Tod ihrer Mutter schien endlich ein Ende zu haben.
21
Leo trieb die Pferde an. Arras hatten sie am frühen Morgen verlassen, waren am nächsten Tag in Lille eingetroffen und hatten Tournai am übernächsten Tag erreicht.
Am Wegesrand konnte man beobachten, wie sich die Landschaft veränderte. Die Knospen spitzten aus ihren braunen Hüllen und zeigten zarte, hellgrüne Blättchen. Und das junge Gras überzog wie ein Teppich aus Samt die Wiesen, auf denen schöne dicke Kühe friedlich wiederkäuten.
Nachdem sie einige Tage in diesem zügigen Tempo unterwegs waren, kamen sie in die schöne Stadt Brügge und fuhren mit ihrer Kutsche auf den Rathausturm zu.
»Wir haben genug Zeit, um dir die Stadt zu zeigen, Angela«, sagte Alix und rückte ihre Haube zurecht, deren schwarze Spitze genau in der Mitte zwischen ihren haselnussbraunen Augen saß. »Ich zeige dir die schönsten Stellen; früher bin ich dort mit Jacquou spazieren gegangen.«
Angela sah einen Anflug
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