Die seidene Madonna - Roman
Himmel! Alix merkte, wie ihr eine Schweißperle über die Stirn lief. Ein Depot in Flandern würde ihren Feinden unter den Webern von Tours allen Wind aus den Segeln nehmen. In dieser Zunft wurden weder Erpressung noch Brandstiftung oder
Ähnliches unter den Mitgliedern geduldet, weil sich alle Weber, die zu der Manufaktur gehörten, die Gewinne teilten. Ihre Feinde aus Tours könnten nichts mehr gegen sie unternehmen.
Van de Veere sah, wie sich seine Kundin mit der Hand über die Stirn fuhr. Plötzlich wurde Alix sein scharfer Blick bewusst. Jetzt lächelte er nicht mehr, sondern erwartete ihre Antwort.
»Wenn ich Euch recht verstehe, wollt Ihr mich in die höchste Kaste aufnehmen!«
»So könnte man es auch nennen.«
»Wer würde dann aber meine Ware verkaufen? Die französischen Weber haben alle einen Makler, der sie dabei unterstützt.«
»Wenn Ihr wünscht, kann ich Euer Makler sein. Für mich ist das eine Kleinigkeit, weil ich ohnehin sechs Monate im Jahr in Brügge bin.«
»Was wären denn Eure Bedingungen?«
»Die Hälfte vom Gewinn plus die Rückzahlung des Jahresbeitrags, der sehr hoch ist.«
Nun schüttelte sie traurig den Kopf.
»Das würde ich sofort akzeptieren, wenn es nicht ein Problem gäbe.«
»Nämlich?«
»Ich bin aus zwei Gründen nach Flandern gekommen: Erstens, um Geld für den Wiederaufbau meiner Werkstätten aufzutreiben, und zweitens, um der Gilde mein Meisterstück zu präsentieren, damit ich handeln kann.«
Van de Veere kratzte sich ärgerlich am Kinn.
»Das ist allerdings wirklich sehr unerfreulich. Wir hätten gleich zu Beginn über diesen Punkt sprechen sollen. Wo habt Ihr denn Euer Meisterstück«
»Es ist in dem Gasthaus, in dem ich abgestiegen bin.«
»Ich würde es gern sehen. Könnt Ihr es bringen lassen?«
»Ja, falls mein Kutscher nicht in die Stadt gegangen ist.«
»Dann schicke ich eben meinen los. Er ist ein richtiger Pfiffikus und wird ihn bestimmt aufstöbern.«
»Das glaube ich schon, aber wann?«
Er läutete nach seinem Diener und schickte ihn, Collas zu holen. Als er dem Kutscher seine Anweisungen erteilt hatte, war er mit einem Mal ganz entspannt. Der gestrenge Bankier hatte dem charmanten Italiener Platz gemacht.
»Jetzt haben wir jede Menge Zeit. Ich wollte Euch ohnehin zum Souper einladen? Nehmt Ihr meine Einladung an?«
Als sie zögerte, sagte er: »Ich bitte Euch, wir feiern unsere Abmachung, bis Collas zurück ist.«
Van de Veere führte Alix in den Nebenraum, der gerade groß genug war für einen runden Tisch, auf dem silbernes Geschirr und Kristallkelche bereitstanden.
Mehrere Sessel und ein dunkelblaues Samtsofa standen einladend vor dem Fenster, aber er führte sie zum Tisch.
»Ich habe Adrian gebeten, dass er uns alles auf einmal serviert. Dann können wir uns selbst bedienen und ungestört über unsere geschäftlichen Angelegenheiten sprechen.«
Tatsächlich erschien bald darauf Adrian, den Alix mittlerweile auch schon kannte, und servierte Wachteln in Gelee, eine Kräutertarte, Scheiben vom Lammbraten, Heidelbeersorbet und Gebäck mit Mandelcreme.
»Je nachdem, wo sich die Gilde versammelt, setzt sich die Jury jedes Jahr aus anderen Mitgliedern zusammen. Wisst Ihr schon, wer bei der nächsten Versammlung dabei ist?«, wollte Van de Veere wissen.
»Von einigen weiß ich es sicher, und gerade sie sind mir nicht gewogen.«
»Rechnet Ihr auch Maître de Coëtivy zu ihnen?«
»Woher wisst Ihr von ihm?«
»Ich habe Euch gestern vom Fenster aus beobachtet.«
Alix runzelte ärgerlich die Stirn.
»Was hat Euch der Maler Dürer erzählt?«
»Er hat gesagt, Euer Schwiegervater würde Euch nicht sehr lieben.«
»Viel schlimmer - er hasst mich.«
»Ich habe ihn sehr geschätzt. Aber er ist ein Dummkopf, und ich halte in Zukunft nichts mehr von ihm. Dieser Mann, den ich einmal sehr geachtet habe, bedeutet mir nichts mehr.«
Er sah sie an, und sein Blick wurde auf einmal härter. Dann sagte er mit einem Anflug von Unnachgiebigkeit in der Stimme:
»Werdet Ihr diesen Mann wiedersehen?«
Sie spielte die Ahnungslose.
»Wen? Coëtivy oder Dürer?«
Er nahm ihre Hand und drückte sie ein wenig zu fest, aber sie ließ ihn gewähren.
»Ihr wisst sehr gut, wen ich meine. Diesen üblen Verführer!«
»Ich dachte, er wäre Euer Freund.«
»Jetzt nicht mehr.«
Sie machte ein zerknirschtes Gesicht, und ihre Finger bewegten sich ein bisschen in ihrem Gefängnis.
»Oh je! Wir kennen uns noch kaum, und jetzt habt Ihr Euch meinetwegen mit
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