Die seidene Madonna - Roman
zwei von Euren Freunden überworfen!«
Er ließ ihre Hand los, nahm die Weinkaraffe und schenkte ein.
»Trinkt etwas«, sagte er.
Sie tauchte ihre Lippen in das starke, duftende Getränk und nahm einen Schluck. Es prickelte und war sauer. Dann sah sie
ihren Gastgeber an und stellte fest, dass er sie mit zusammengekniffenem Mund und einer Falte auf der Stirn aus seinen tief liegenden schwarzen Augen unverwandt ansah.
Plötzlich erschrak sie über die Wendung, die die Ereignisse nahmen. Ein paar Minuten noch, und dieser Mann würde sie zu dem schönen und bequemen blauen Samtsofa führen. Und sie würde sich nicht sträuben! Das wusste sie ganz genau. Ihr war schwindlig, und sie spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. Nein, sie wollte sich wehren! Sie war noch nicht bereit.
Er reichte ihr eine kleine Wachtel, die sie manierlich mit den Fingern entbeinte und diese dann am Saum der Tischdecke abtrocknete, nachdem sie sie in das silberne Wasserschälchen vor sich getaucht hatte.
»Albrecht Dürer ist ein skrupelloser Verführer. Wart Ihr wirklich gezwungen, Euch von ihm verführen zu lassen?«
Sie seufzte traurig.
»Er hat mich nicht verführt, er hat mich genötigt. Daran habe ich ihn gestern erinnert. Sonst wäre ich dem Galgen nicht entkommen. Jacquou hätte das niemals erfahren dürfen!«
»Jacquou?«
»Er war mein Mann. Wir hatten gegen den Willen meines Schwiegervaters geheiratet. Jacquou ist bei der letzten Pest gestorben, die im gesamten Val de Loire gewütet hat.«
»Ihr habt mir noch immer nicht die Frage beantwortet, die ich Euch vorhin gestellt habe.«
»Das werde ich auch erst tun, wenn die herrische Falte auf Eurer Stirn und das herausfordernde Leuchten in Euren Augen verschwunden sind.«
»Einverstanden«, versprach er und erhob sein Glas.
Die funkelnden Ringe an seinen Fingern irritierten Alix.
»Warum sollte ich diesen Mann wiedersehen?«, fragte sie leise.
»Ich habe nichts als traurige Erinnerungen an diese Zeit. Wenn ich ihn sehe, muss ich nur an schreckliche Tage denken.«
»Aber …«
»Seine Umarmungen und das Vergnügen, das er offensichtlich daran hatte, haben mich vollkommen gleichgültig gelassen. Ich dachte dabei nur an meinen Mann. Mehr habe ich dazu nicht zu sagen.«
»Werdet Ihr ihn wiedersehen?«
»Nein!«, rief sie, sprang plötzlich auf und flüchtete sich zu dem Fenster, das hinter einem dicken blaugoldenen Vorhang verborgen war. »Nein! Ich verabscheue diesen Mann!«
Mit einem Satz war er bei ihr und nahm sie in seine Arme. Er drückte sie an sich und sagte ganz leise: »Küsst mich.«
Ihre Gesichter berührten sich, und seine Lippen streiften ihre. Er duftete nach frischen Blumen. Seine Lippen kamen noch näher, bis sie sich fanden. Es wurde ein kurzer, drängender Kuss. Was wäre wohl geschehen, wenn nicht gerade in dem Augenblick der Diener Adrian geklopft hätte?
»Bitte, lasst mich, Alessandro«, flüsterte sie.
Einen Augenblick später saßen sie wieder am noch immer reichhaltig gedeckten Tisch, weil sie kaum etwas angerührt hatten, und Van de Veere entrollte vorsichtig die Tapisserie von Alix.
»Dieser Millefleurs ist wirklich ein Meisterstück«, meinte er und strich behutsam über die präzise und dicht aneinandergereihten Stiche, die dem Wandteppich seinen ganz besonderen Glanz verliehen.
»Seid Ihr Euch da ganz sicher?«
»Unbedingt, Alix. Mit solchen Millefleurs könnt Ihr in Eurem Kontor im Val de Loire auch für die Florentiner arbeiten.«
»In Rom müsste ich eigentlich schon Kundschaft haben. Jean
de Villiers hat mir zugesichert, dass ich weitere Aufträge aus dem Vatikan bekommen werde.«
»Dann sollten wir nicht kleinlich sein und uns die Kunden aus ganz Italien sichern. Mailand, Neapel und Venedig sind genauso versessen auf diese Tapisserien wie Florenz oder Rom.«
Alix hatte sich noch gar nicht wieder richtig beruhigt, sie wusste nicht so recht, was sie von ihren Gefühlen halten sollte, und versuchte sich lieber auf ihre Arbeit zu konzentrieren.
Alessandro hielt den Teppich jetzt in der Hand, drehte und wendete ihn, betrachtete aufmerksam Vorder- und Rückseite und jedes Detail, von denen es auf dem Millefleurs nur so wimmelte.
»Er ist wirklich erstaunlich schön. Ich glaube, ich könnte ihn auch verteidigen, selbst wenn alle anderen Mitglieder der Gilde gegen mich wären.«
»Ihr werdet zumindest Unterstützung von meinem Freund, dem Kardinal, bekommen.«
»Ich bin sicher, wir werden noch mehr Fürsprecher haben. Davon
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