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Die seidene Madonna - Roman

Die seidene Madonna - Roman

Titel: Die seidene Madonna - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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anständig zu Euch in die Kathedrale kommt, weil sie ein Geschäft aushandeln will. Was heißt hier respektieren, Monseigneur de Lenoncourt? Passt es zu Eurer Auffassung von Respekt, wenn Ihr eine Handwerkerin ohrfeigt, die gutgläubig zu Euch kommt, um mit Euch zu sprechen?«
    »Von welcher Ohrfeige redet Ihr da?«, wollte der Richter wissen.
    »Von der, die mich brutal zu Boden geschleudert hat, und die ich nur bekommen habe, weil ich eine Frau bin und Monseigneur Lenoncourt meint, dass man mit Frauen keine Geschäfte macht.«
    Wieder herrschte beklommenes Schweigen, aber jetzt war es ohnehin zu spät - Alix wollte an diesem Tag ihre offenen Rechnungen in aller Öffentlichkeit begleichen. Diesmal mied sie allerdings Jean de Villiers missbilligenden Blick.

    »Aus Eurer Sicht hat mich die Ohrfeige, die Ihr mir verpasst habt, vielleicht erniedrigt und beschmutzt, Monseigneur, was mich betrifft, hat sie erst wieder meinen Kampfgeist geweckt. Ihr wisst wohl, dass es schon einige, wenn auch nicht viele, große Teppichweberinnen gegeben hat. Eines Tages werde ich auch zu ihnen zählen.«
    Der Erzbischof von Reims war verlegen und entgegnete nichts, aber Seigneur de La Tournelle übernahm das für ihn:
    »Diese Frau ist eine Lügnerin und eine Diebin.«
    »Ihr seid hier der Lügner! Der Mönch und Apotheker André Mirepoix hat die kleine Statue, die ich angeblich gestohlen haben soll, in einer Truhe im Pfarrhaus entdeckt, wo sie nie weggekommen war. Bruder Mirepoix hat das bei der Verhandlung bezeugt, in der es um die Anklage gegen mich ging.«
    »Das ist nicht wahr!«
    Der Richter schlug mit der Faust auf den Tisch.
    »Genug! Was soll die Streiterei? Wir sind nicht hier, um irgendwelche privaten Fehden zu begleichen. Beschäftigen wir uns also wieder mit der Arbeit, die Dame Cassex vorgelegt hat.«
    Nun war es an Jean de Villiers, das Wort zu ergreifen.
    »Ich bin ebenfalls der Meinung, dass wir uns nicht mit irgendwelchen Anschuldigungen gegen diese junge Frau aufhalten sollten. Ich bitte die anwesenden Weber, die Arbeit zu beurteilen.«
    Er nahm die Tapisserie und hielt sie hoch.
    »Man möge sich den präzisen Stich, die Übereinstimmung von Vorder- und Rückseite, die harmonische Mischung aus Woll- und Seidenfäden und die schönen Farben ganz genau ansehen. Hat das hier schon irgendjemand so hervorragend gemacht? Ich bin jedenfalls ganz begeistert von der Webtechnik und den erstaunlich leuchtenden Farben.«
    Zwei Gildevertreter kamen näher und nickten beifällig.

    »Was ist das für eine Methode, die Ihr da anwendet?«, fragte der Richter.
    »Das möchte ich Euch nicht verraten, Euer Ehren«, antwortete ihm Alix, die sich wieder beruhigt hatte. »Jeder Weber hat sein kleines Geheimnis.«
    »Und Ihr habt natürlich das Recht, es zu hüten.«
    »Seht Euch die Arbeit ganz genau an«, wiederholte Jean de Villiers, und seine Stimme klang ein wenig ungeduldig.
    »Ja, seht sie Euch an! Dann werdet Ihr feststellen, dass diese Fäden, die mit Wau gefärbt sind, wie Goldfäden aussehen - aber es sind keine Goldfäden!«
    Nach und nach untersuchten fünf oder sechs Weber den Teppich, drehten und wendeten ihn und sahen ihn sich ganz genau an, um schließlich anerkennend mit dem Kopf zu nicken.
    Anstatt sich über die hervorragende Webtechnik und die leuchtenden Farben auszulassen, kam Mortagne, ihr ärgster Feind, lieber wieder auf die Frage der Verwendung fremder Vorlagen zu sprechen, die als unrechtmäßig galt, wenn große Teile eines Ensembles übernommen wurden.
    »Seht Euch doch nur einmal die Mondsicheln an! Da und da und da … Fünf Mondsicheln - die habe ich alle erfunden!«, äffte er Alix nach. »Bei dieser Art von Symbolen hat es noch nie geheißen, dass man sie wiederverwenden darf. Das ist eine ganz gewöhnliche Kopie!«
    Der Richter wandte sich wieder an Alix.
    »Das ist ein Symbol, das wir alle verwenden, Euer Ehren. Außerdem habe ich die Mondsicheln ganz anders dargestellt als bei der Dame mit dem Einhorn von Jean Le Viste, dessen Sohn Euch ja auch gerade bestätigt hat, dass es sich nicht um eine Kopie handelt. Wenn Ihr es Euch einmal ansehen wollt - ich habe die Sicheln überkreuzt und nicht aneinandergereiht.«

    »Im Übrigen geht es hier um ganz verschiedene Mondsicheln«, meldete sich Jean de Villiers wieder zu Wort. »Alix Cassex benutzt sie als orientalische Liebessymbole. Wenn Ihr wünscht, kann ich Euch das gern ausführlicher erläutern.«
    »Orientalische Liebessymbole!«, spottete La Tournelle.

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