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Die seidene Madonna - Roman

Die seidene Madonna - Roman

Titel: Die seidene Madonna - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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»Monseigneur! Wollt Ihr etwa für ein weltliches Werk sprechen?«
    »Das kann ich tatsächlich nicht. Aber ich möchte jeden hier dazu auffordern, dieses vollkommene Erzeugnis der Webkunst zu bewundern, das in Euren Augen nur einen einzigen Fehler hat - nämlich den, von einer Frau angefertigt worden zu sein!«
    »Mag sein, dass Monseigneur Jean de Villiers ein weltliches Werk nicht verteidigen darf. Das gilt aber nicht für mich«, sagte jemand mit einer gravitätischen Stimme, die man bisher noch nicht gehört hatte. »Diese Tapisserie ist eine sehr schöne und eigenständige Interpretation. Es ist eine Hymne an die Liebe, die man auf keinen Fall mit Die Dame mit dem Einhorn verwechseln darf.«
    Alessandro Van de Veere wandte sich an Le Viste den Jüngeren, der offenbar für ihn Partei ergreifen wollte, aber Alix ließ ihm keine Gelegenheit.
    »So ist es, Euer Ehren. Bei mir gibt es keine Dame und auch keine Dienerin, sondern nur ein Madonnengesicht. Und auch keinen Löwen, sondern einen Stier und einen Adler, also keine Allegorie auf die Freuden dieser Welt, sondern einen einzigen, gewaltigen Schrei nach Liebe, versinnbildlicht in dem Einhorn, das sich der Jungfrau unterwirft.«
    »Und diese Auslegung ist der jungen Frau hervorragend gelungen. So viel sinnliche Zärtlichkeit, solche Zuwendung und Eingebung«, fuhr Van de Veere beinahe beschwörend fort. »Nur eine Frau kann eine Liebesszene so interpretieren.«
    Er sah den Richter fragend an, der nicht recht zu wissen schien, was er von der Sache halten sollte.

    »Wie Ihr seht, kann man die Liebe auch anders interpretieren als unsere großen Meister, Messires!«, rief er, von seiner eigenen Begeisterung mitgerissen. »Raffael, den hier ja wohl alle für ein Genie halten, versucht die Liebe so rein wie möglich darzustellen, aber man kann das Thema auch anders behandeln.«
    Mortagne, der Weber aus Tours, war aufgestanden.
    »Zieht Ihr jetzt etwa einen Vergleich zwischen Raffael und …«
    »Ich vergleiche gar nichts, Maître Mortagne, ich zeige lediglich, wie viel Talent diese Weberin besitzt. Was sagt Ihr denn dazu, Maître de Coëtivy?«
    Alix wurde bleich. Wie würde sich ihr Schwiegervater äußern? Von dem Florentiner Bankier herausgefordert, konnte er aber nur eine sachliche Meinung äußern und sagte leise:
    »Ich weiß nicht, ob eine Frau, und sei sie noch so begabt, überhaupt eine Berühmtheit werden kann.«
    »Wer hat denn von Euch verlangt, dass Ihr mich eine Berühmtheit nennt?«, rief Alix empört. »Ihr sollt lediglich vor dieser Versammlung Eure Meinung äußern.«
    »Oh doch, mein lieber Coëtivy«, mischte sich Jean de Villiers wieder ein. »Da gibt es zum Beispiel die berühmte Tapisserie Die Anbetung der Heiligen Drei Könige , auf der eine Frau zu sehen ist, die einen Teppich entrollt. Ich habe diese Tapisserie erworben, kurz nachdem die Frau gestorben war, die sie fast ganz allein gewebt hat. Eine Frau hat dieses Kunstwerk auf den Webstühlen von Maître Thomassaint Cassex angefertigt. Früher habt Ihr diese Weberin verteidigt«, sagte er, an Martin Cassex gewandt, der sich bislang nicht geäußert hatte.
    »Es war doch Eure Schwester, die diesen Wandteppich auf den Webstühlen Eures Vaters gewebt hat?«
    »Ja, das stimmt«, antwortete Martin irritiert, weil ihn sein Stiefbruder hier vor allen Leuten nicht duzte.

    »Euer Ehren!«, wandte sich Jean wieder an den Richter. »Was diese Arbeit anbelangt, die wir hier zu erörtern haben, kann ich nur etwas zu ihrem Wert sagen.«
    »Und das wäre?«
    »Ich weiß, dass Dame Alix Cassex als Weberin nur dazu beitragen kann, unser Ansehen zu mehren.«
    De Coëtivy zwang sich zu schweigen, um nicht wieder zur Zielscheibe der Kritik zu werden. Alles was mit Léonore zusammenhing, brachte Jacquou ins Spiel, und für ihn war es besser, dieses Thema zu meiden. Aber natürlich wusste er, dass Léonore an der Anbetung der Heiligen Drei Könige gearbeitet hatte und ihr diesen überaus zarten Ausdruck verliehen hatte.
    »Ich habe dem nichts hinzuzufügen«, sagte er nur, weil die Versammlung auf sein Urteil wartete.
    Dann deutete er mit dem Finger auf Alix und schloss: »Möge diese Frau meinetwegen den Weg gehen, den sie gewählt hat.«
    Alix nickte mit triumphierender Miene. Wie einfach und geradlinig hätte ihr bisheriges Leben verlaufen sein können, wenn er das schon viel früher gesagt hätte!
    Niemand konnte sich entschließen, das Schweigen zu brechen, das nach de Coëtivys Worten entstanden war. Wann

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