Die seidene Madonna - Roman
des bevorstehenden Ausflugs, und erst in der Stunde danach sollte sich dafür eine neue Gelegenheit bieten.
Als ihre Kinder die Laute spielten und Louise Gedichte vortrug, die Marguerite und François abwechselnd wiederholten, schien die innige Vertrautheit zwischen ihnen grenzenlos. In diesen seltenen Augenblicken war es wieder wie zu guten alten Zeiten in Cognac - nichts konnte sie ablenken, nichts trennen, und Louise vermisste zwar Jean, genoss aber auch die Zärtlichkeit mit ihren Kindern.
Beim Abendessen war Marguerite die Nervösität ihrer Mutter aufgefallen, und sie fragte sich, woran das wohl liegen mochte. Der Grund sollte ihr in aller Deutlichkeit demonstriert werden, als sie sich gerade anschickte, ihr Gedicht vorzutragen.
Sie hatte tief Luft geholt und angehalten, um das Gedicht ohne Unterbrechung aufsagen zu können, als Marschall de Gié in das Musikzimmer platzte.
»Diese ergötzlichen Stunden nach jedem Abendessen sind unnütz, Madame, und das wisst ihr sehr wohl. Wenn Eure Kinder früher zu Bett gingen, könnten sie morgens eine Stunde früher mit dem Reiten beginnen. Dann würden sie viel schneller Fortschritte machen.«
Louise versuchte mühsam den aufkeimenden Ärger zu unterdrücken.
»Mein lieber de Gié, ich erziehe meine Kinder so wie ich es für richtig halte, und das wisst Ihr auch. Ihr habt mir keine Befehle zu erteilen. König Ludwig XII. hat Euch für sie bestimmt, nun gut. Bringt ihnen bei, was Ihr wisst. Doch damit sind Eure Aufgaben erfüllt. Ich wünsche nicht, dass Ihr ständig Eure Befugnisse überschreitet.«
Weil ihre Kinder anwesend waren, bemühte sie sich um einen gemäßigten Tonfall. Marguerite und François sahen sie ohnehin bereits verwirrt und fragend an.
»Es kommt nicht in Frage, dass Ihr sie so erstickt wie Ihr mich erstickt.«
»Ihr seid ihnen aber keine gute Erzieherin, Madame, wenn Ihr ständig meine Anweisungen untergrabt. Wie sollen diese Kinder denn so lernen, was ihre Pflicht ist?«
»Es gehört auch zu ihren Pflichten, mit ihrer Mutter zusammen zu sein«, gab Louise wütend zurück.
»Gewiss, ein paar Minuten am Tag, aber nicht stundenlang, wie Ihr es haltet!«
»Mit meinen Kindern kann ich machen, was ich will. Es musstet nicht erst Ihr kommen, damit sie lernen und verstehen, was von ihnen erwartet wird.«
De Gié hatte eine sehr gute Konstitution und Nerven wie Drahtseile, die genauso erbarmungslos waren wie seine metallisch glänzenden Augen. Falls ihn das Gespräch vom Vormittag etwas aus dem Gleichgewicht gebracht haben sollte, ließ er sich das jedenfalls nicht anmerken. Im Gegenteil, er schien es sogar fortsetzen zu wollen. Bohrte er mit seinem ärgerlichen Tonfall tatsächlich nach dem Grund für ein ernsthaftes Zerwürfnis?
Da kannte er Louise aber schlecht. Sie gönnte ihm keinen Vorteil und blieb beharrlich.
»In Cognac und in Angoulême waren wir es gewöhnt, zu dritt zusammenzusitzen.«
»Zu viert!«, korrigierte sie de Gié sarkastisch.
»Richtig«, gab Louise zu, »zu viert. Wir waren gern in Gesellschaft von Monsieur de Saint-Gelais. Was stört Euch daran?«
Als er keine Antwort gab, fuhr sie fort:
»Er ist Musiker und Dichter, und wir haben die gemeinsame Zeit nach dem Abendessen sehr genossen.«
»Nur zu verständlich, dass Ihr diese späten Stunden für derart intime Lektionen gewählt habt!«
»Ich habe Euch eine Frage gestellt, Marschall, und ich hätte gern, dass Ihr sie mir beantwortet. Was stört Euch daran?«
»Die Mutter des Jungen, den ich zu erziehen habe, muss sich untadelig benehmen.«
Louise wurde rot. De Gié merkte, dass er zu weit gegangen war, und wandte sich an François, der nicht recht zu begreifen schien, was die Auseinandersetzung zwischen seiner Mutter und seinem Lehrer zu bedeuten hatte.
»Ihr solltet möglichst schnell lernen, wie man ein Pferd richtig reitet, damit Ihr euch nicht vor den jungen Freunden blamiert, die der König für Euch ausgesucht hat.«
Marguerite wirkte noch verängstigt, aber François hatte den Streit zwischen seiner Mutter und de Gié schon fast vergessen.
»Kennt Ihr sie denn? Wann werden sie nach Amboise kommen?«, fragte er neugierig.
»Schon sehr bald. Anne de Montmorency ist ein junger Herr in Eurem Alter. Er kann bereits sehr gut reiten und mit dem Degen umgehen. Und Robert de La Marck ist zwar als Reiter und Kämpfer nicht so begabt wie er, dafür aber sehr klug.«
»Was ist mit den anderen? Sollten es nicht fünf sein?«, fragte Louise, die sich ein wenig
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