Die seidene Madonna - Roman
Begegnung eben noch ärgerlicher klang, »aber
Ihr wisst doch sehr gut, dass Ihr nicht allein über die Zeit meiner Kinder zu verfügen habt.«
»Entschuldigt, aber ich habe geglaubt …«
»Ihr habt nichts zu glauben, Marschall. Dass ich in Chinon nichts gesagt habe und Euch bis heute habe gewähren lassen, lag nur daran, dass ich zunächst mit der neuen Situation zurechtkommen musste.«
Ihr Herz schlug noch immer wie wild, und sie war ganz blass vor Zorn. Zu allem Überfluss bekam sie jetzt auch noch Kopfschmerzen. Der Vormittag war gänzlich misslungen.
»Nachdem wir uns mittlerweile endgültig in Amboise eingerichtet haben, gebe ich meinen Kindern ab sofort wieder jeden Tag vor dem Mittagessen eine Stunde in Poesie«, fuhr sie wütend fort.
De Gié musterte unbarmherzig ihre aufgelöste Miene. Dafür bedankte sich Louise mit einem unsäglich wütenden Blick, der ihn aber nicht aus der Fassung bringen konnte.
»Ihr könnt ihnen nicht einfach die Geschichts- und Geographiestunden nehmen. Latein und Grammatik sind nun einmal nicht die einzigen Fächer, die sie lernen müssen.«
Aber Louise hörte sich seine Einwände gar nicht richtig an. Sie hatte nur das Bild eines königlichen Erben vor sich, der ihrem Sohn den Platz streitig machen wollte, was ihr den Atem nahm.
»Genug jetzt!«, rief sie. »Ich bleibe dabei: vor dem Mittagessen haben wir Poesiestunde, und vor jedem Abendessen gibt es eine Musikstunde. Den Rest des Tages könnt Ihr ganz nach Belieben einteilen. Ich bin überzeugt, Ihr findet ohne Schwierigkeiten genug Zeit für die Geschichte und auch für die Fremdsprachen.«
Ihr Gesicht war jetzt rot vor Zorn. Obwohl sie die allzu eigenmächtigen Entscheidungen des Marschalls noch nie goutiert
hatte, war es doch das erste Mal, dass sie sich ihm gegenüber so hatte gehen lassen.
Ihm war allerdings nicht entgangen, dass ihre kaum verhaltene Wut weniger von dem Gespräch über den Unterricht ihrer Kinder als von dem herrührte, was die Königin gerade zu ihr gesagt hatte, und er durchbohrte sie schier mit seinen Blicken.
»Als ich sah, dass Ihr eine Unterhaltung mit der Königin führt, dachte ich, ich könnte nach Gutdünken über die Zeit Eurer Kinder verfügen.«
Der eisige, scharfe Blick, mit dem sie der Marschall bedachte, missfiel ihr derart, dass sich ihr Zorn verdoppelte und mit geballter Kraft gegen ihn richtete wie ein Projektil, das erbarmungslos auf sein Ziel zusteuert.
»Ich bitte mir aus, in Zukunft nicht mehr von Euch ausspioniert zu werden. Es ist mir äußerst unangenehm, Monsieur, wenn Ihr mir überallhin mit Blicken folgt, alle meine Unternehmungen beobachtet und sogar die vertraulichen Gespräche mit meinen Kindern mithört. Ihr raubt mir die Luft zum Atmen, und das ertrage ich nicht länger!«
Dieser Mann versuchte ihr Lebensrhythmus, Erziehungsmethode und Denkweise aufzuzwängen, und sie fühlte sich plötzlich wie befreit. Natürlich blieb ein Rest an Angst in ihr vergraben, aber wenigstens war sie den größten Teil losgeworden und konnte jetzt vielleicht den großen Schreck von eben verdauen.
Angesichts ihrer unerwarteten Aggressivität hatte sich der goldbraune Teint des Marschalls wächsern verfärbt, und seine Kiefer mahlten unmerklich. Einen Augenblick lang fürchtete sie, er würde näher kommen und sie bedrohen, da rief aber plötzlich ihr Sohn nach ihr und sie drehte sich abrupt um. Als sie sich wenig später de Gié wieder zuwenden wollte, hatte er auf dem Absatz kehrtgemacht und eilte mit großen Schritten davon.
Der Anblick von François beruhigte sie auf der Stelle. Sie spürte, wie sie sich entspannte und ein Lächeln auf ihrem Gesicht erstrahlte.
»Mir scheint, mein kleiner Cäsar macht große Fortschritte auf seinem Pony!«, sagte sie und küsste ihren Sohn auf die Stirn.
»Ihr habt mir von hier oben zugeschaut, Mutter!«, rief der Junge glücklich.
»Ich habe gesehen, dass deine Haltung recht gut ist und du schon viel mutiger antreibst. Bald bist du ein richtiger kleiner Kavalier.«
»Monsieur de Gié sagt, dass ich bald ein Pferd reiten kann. Werdet Ihr es mir erlauben?«
Louise fuhr ihrem Sohn liebevoll durch sein ein wenig wirres Haar.
»Hat dich Catherine gar nicht frisiert?«
Der Junge schüttelte den Kopf und sah seiner Schwester entgegen, die auf sie zuging. Sie trug ein Kleid aus blauem Samt, das an provenzalische Lavendelfelder erinnerte, und ihr rotblondes Haar fiel in schönen Locken auf ihre jugendlichen Schultern.
Freudig umarmte sie
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