Die seidene Madonna - Roman
Val de Loire. Ob er hier vielleicht endlich bleiben konnte?
Und wie zuvor Mathias und Florine gewöhnte sich auch Pierrot in der Werkstatt ein und war schon bald unersetzlich, weil er sämtliche lästigen kleinen Arbeiten übernahm. Mathias beauftragte ihn, die Wollballen im Schuppen nach Farbe und Fadenstärke zu sortieren, Arnold und Alix schickten ihn zum Einkaufen, wozu er begeistert auf eins der beiden Maultiere kletterte. Und Florine, die zusehends dicker wurde, drückte ihm Besen und Staubtuch in die Hand.
Der alte Meister Gauthier hielt ihn für einen klugen Kopf und brachte ihm bei, ohne Finger zu zählen, damit er weiter als bis zehn rechnen konnte.
Ende Januar schien der Winter endlich zu Ende zu gehen; es fror nicht mehr, war aber noch immer sehr kalt. Alix hatte nichts Neues von Jacquou gehört. Da sie aber wusste, wie schwierig es war, einen Boten zu finden, der sich für möglichst wenig Geld auf den Weg nach Tours machte, um ihr einen Brief zu bringen, beunruhigte sie sich nicht allzu sehr. Sie musste dafür sorgen, dass die Werkstatt funktionierte und das Geld nicht ausging, weshalb Jacquou auch nur eben soviel mitgenommen hatte, um in Italien die kostbaren und berühmten Seidenfäden einzukaufen. Beim Erwerb der Florentiner Madonnen hatte Van Orley mit Sicherheit Jacquou unterstützt.
Plötzlich wurde die Tür aufgerissen, und zwei Männer kamen lärmend hereingepoltert. Noch in der hintersten Ecke der großen Werkstatt waren sie zu hören. Jemand rief laut:
»Meister Jacques Cassex!«
Alix ging auf sie zu.
»Mein Mann ist zurzeit in Italien unterwegs. Er kommt erst im Frühjahr zurück. Aber vielleicht kann ich Euch ja helfen.«
Sie musterte erst den Mann, der nach Jacquou gerufen hatte, dann den anderen, der sich etwas im Hintergrund hielt und den sie nicht kannte. Der erste kam ihr allerdings irgendwie bekannt vor, sie wusste nur nicht woher.
Alix runzelte die Stirn und versuchte sich zu erinnern. Ja, natürlich, sie hatte ihn auf dem letzten großen Jahrmarkt in Tours gesehen, auf dem alle großen Weber aus der Gegend zusammengekommen waren. Dieser ungestüme, unhöfliche und reichlich arrogante Mann war einer der allseits bekannten Gebrüder Mortagne. Er war mächtig, reich und gerissen und einer der bedeutendsten Weber von Tours.
Furchtlos blickte sie ihm ins Gesicht.
»Darf ich fragen, wer Ihr seid?«, log sie.
Der Mann betrachtete sie herablassend, ohne sie einer Antwort zu würdigen, und wandte sich an Meister Gauthier, erstaunt, ihn hier anzutreffen. Was hatte der alte Meister in der einfachen, noch ziemlich neuen Werkstatt von Jacques Cassex verloren? In Tours war stadtbekannt, dass ihn Maître de Coëtivy auf die Straße gesetzt hatte. Der Weber ging auf Gauthier zu und sah ihn fragend an. Doch der machte sich nur wieder wortlos an seine Arbeit. Darüber war Mortagne so perplex, dass er zunächst gar nicht wusste, was er sagen sollte. Als dann Alix zu ihm trat, die noch immer wartete, antwortete letzten Endes Gauthier an seiner Stelle, ohne aufzusehen.
»Dieser Mann ist einer der Meister Mortagne, die ihre Werkstätten am anderen Ende der Stadt haben.«
Dann beugte er sich wieder über seine Arbeit und sagte:
»Was verschafft uns die Ehre Eures Besuchs, gnädiger Herr?«
Mortagne warf einen Blick auf die Webstühle und deutete dann mit dem Finger auf einen von ihnen.
»Von wem stammt diese Zeichnung? Wer hat den Karton gemalt?«
»Bitte entschuldigt, aber mit welchem Recht stellt Ihr diese Frage?«, entgegnete Alix.
»Ich nehme mir dieses Recht, weil Ihr euch die Freiheit erlaubt habt, Eure Arbeit für Seigneur de La Tournelle zu signieren.«
»Könnt Ihr mir bitte erklären, inwiefern das für Euch von Belang ist, Monsieur Mortagne?«
»Das ist nicht nur für mich, sondern für alle Weber in Tours von Belang. Wir sind allesamt empört über Eure Dreistigkeit.«
Alix hatte nicht die Absicht, sich von diesem Mann einschüchtern zu lassen, der zwar die größten Werkstätten der Stadt, nicht aber das Monopol auf die Weberei in Tours besaß. Sie hielt seinem Blick stand und sagte:
»Von welcher Dreistigkeit sprecht Ihr da?«
Mit zwei Sätzen war er bei ihr und zischte ihr mit zynischer, hochnäsiger Stimme ins Gesicht:
»Ich spreche davon, dass Ihr diese Arbeit mit dem ›T‹ für Tours signiert habt.«
Alix trat einen Schritt zurück, weil er ihr seinen unangenehmen Atem direkt ins Gesicht blies.
»Na und? Die Arbeiten aus Brügge werden mit einem ›B‹
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