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Die seidene Madonna - Roman

Die seidene Madonna - Roman

Titel: Die seidene Madonna - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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dass Mathias bei den Mönchen geblieben war und ihnen half, die vielen Männer, Frauen und Kinder anständig zu begraben, die in der Kirche starben. Er hatte seinen Freund nur gebeten, Alix auszurichten, sie möge sich doch bitte um Nicolas kümmern und ihn bei sich behalten, falls er nicht zurückkommen würde.
    Julio hatte davon abgesehen, von dem alptraumhaften Weg mit der toten Florine quer durch die Stadt bis zur Kirche Saint-Pierre zu erzählen. Darüber deckte er den Mantel des Schweigens. Aber Alix und Jacquou ahnten auch so, dass es fürchterlich gewesen sein musste, so erschüttert wie er wirkte.
    Und während Alix weiter ihre Aufgüsse kochte, mit denen sie auch sich einrieb, saß Julio in einer Ecke der Werkstatt auf dem nackten Boden und rührte sich nicht.
    Mitten in der Nacht wachte Jacquou auf und hatte seltsame Anfälle, die ihm den Schweiß auf die Stirn trieben. Da begann Alix mit dem Schlimmsten zu rechnen. Sie zitterte auch heftig, aber nur aus Angst, genau wie Pierrot, der sich ein Beispiel an Julio genommen, sich in eine andere Ecke verkrochen hatte und keinen Mucks machte.
    Einmal stand Alix auf und sah nach, ob der kleine Nicolas ruhig schlief. Das Kind wirkte ganz normal, und sie legte sich wieder zu ihrem Mann, der sie an sich drückte und in einen tiefen Schlaf fiel.
    Einige Stunden später - Jacquou schlief noch immer, war aber schweißüberströmt - beugte sich Alix über ihn und glaubte eine Schwellung in seinem Gesicht zu sehen. Sie war so entsetzt, dass sie nicht wieder einschlafen konnte.

    Als der Morgen graute, hatte die Pest bereits ihr zerstörerisches Werk begonnen. Jacquou schien nichts mehr wahrzunehmen. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er an die Decke, bewegte sich nicht mehr, und das Fieber stieg von Minute zu Minute.
    Die Pest war grauenhaft. Nach dem Fieber begannen die Patienten zu phantasieren, dann kamen Bewusstlosigkeit und Koma, die Pestbeulen zeigten sich zuallererst im Gesicht, um dann über den Hals zu einer Achsel oder Leiste zu wandern und dort eine Geschwulst zu bilden, die eiterte und das Blut innerhalb weniger Stunden vergiftete.
    Jacquou delirierte nicht, aber sein Todeskampf dauerte länger als der von Florine, ohne dass sein Gesicht Spuren von Wahnsinn gezeigt hätte. Sah der junge Mann in seinen Fieberträumen das Bild seiner Mutter vor sich, die dieses Kind geboren hatte, das einfach nur leben wollte? Spürte er im Sterben, wie die Frau gestorben war, die ihn zur Welt gebracht hatte?
    Sein Gesichtsausdruck blieb jedenfalls friedlich. Konnte er Léonores Stimme hören, wie sie Jean de Villiers bat, sich um ihren Sohn zu kümmern, an einem Tag, an dem die Pest genauso wütete wie heute?
    Jacquou starb wie er gelebt hatte, würdevoll, ohne Jammern und Geschrei und offenbar auch ohne große Angst. Als er diese Erde verließ, war sein Blick gen Himmel gerichtet - seine verzweifelte Frau konnte er nicht mehr sehen. Für ihn hatten Tag und Stunde keine Bedeutung mehr, die Zeit zerfloss ins Nichts.
    Alix war neben Jacquou zusammengebrochen und schluchzte laut. Sie spürte kaum, wie Julio sie sanft am Arm nahm und in den Schuppen im Hof zog, dem einzigen Ort im Haus, der noch nicht verseucht war. Pierrot kauerte dort in einer Ecke; und der kleine Nicolas, den der Himmel verschont hatte, schlief wie ein Prinz in seinem Weidenkörbchen und ahnte nichts von all dem
Schrecken um ihn herum. Mit Zuckerwasser und einem Brei aus getrockneten Früchten bekamen sie ihn einigermaßen satt.
    Es war natürlich undenkbar, in die Werkstätten zurückzukehren, ehe sie desinfiziert worden waren. Also mussten sie sich mit diesem engen Raum begnügen und das Ende der Pest abwarten.
    Alix wollte unbedingt den Leichnam ihres Mannes dorthin bringen, wo auch Florine begraben worden war. Und wieder opferte sich Julio auf. Weil er bereits wusste, wie er unliebsamen Begegnungen aus dem Weg gehen konnte, erreichten sie ohne Schwierigkeiten die Kirche Saint-Pierre, wo sich die Mönche bereit erklärten, die sterblichen Überreste von Jacquou zu begraben.
    Als sie gerade wieder vor ihrem Haus angekommen waren, sprach sie der Mann an, der sie vier Tage zuvor angefleht hatte, ihn hereinzulassen, damit ihn die Soldaten nicht mitnehmen konnten. Alix war noch nicht wieder ansprechbar, also traf Julio die Entscheidung.
    »Ihr seid den Soldaten also entkommen?«
    »Ja, aber ich irre schon seit Tagen durch die Stadt. Ich sterbe fast vor Hunger, weil ich seit zehn Tagen nichts mehr gegessen

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