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Die seidene Madonna - Roman

Die seidene Madonna - Roman

Titel: Die seidene Madonna - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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dem Haus, sonst müsst ihr alle sterben!«
    Die Stille war bedrückend, weshalb der Mann nach seinem Kollegen pfiff, der auch bald wie aus dem Nichts auftauchte. Er hatte einen großen Topf mit roter Farbe und einen langen Besen dabei. Ohne ein Wort tauchte er seinen großen Pinsel in die scharlachrote Farbe und malte ein Kreuz auf die Tür von dem Haus, aus dem man den Toten geworfen hatte.
    Kein Laut war zu hören, nur der Tod schlich herum, an jeder Straßenecke, hinter jeder Tür und unter jedem Dach konnte man ihn antreffen. Mathias hielt den Atem an, damit er nicht bemerkt wurde. Er hatte sich in eine Hausecke gedrückt und rührte sich nicht. Schließlich wurde ein zweiter Leichnam aus einem Fenster geworfen und dann ein dritter. Der vierte fiel ihm direkt vor die Füße.
    Mathias würgte und hätte sich fast übergeben, was er aber mit aller Macht unterdrückte. Der Pestgestank, der ihm in die Nase stieg, reizte seinen Hals und er bekam beinahe einen Hustenanfall. So fest es ging, drückte er sich das Tuch, das er vor dem Gesicht hatte, auf den Mund. Das kleinste Geräusch hätte ihn verraten. Trotzdem stieg ihm der Leichengeruch in die Nase, und ihm wurde übel. Zu allem Überfluss war einer der beiden Körper, die aus einem Fenster hingen, ein kleines Mädchen, und er war wie starr vor Entsetzen.
    Am liebsten wäre er davongelaufen. Wenn er ganz vorsichtig den Rückzug antrat, würde man ihn bestimmt nicht bemerken.
Doch dann dachte er an Nicolas und an die Milch, die Florine unbedingt für seinen kleinen Sohn brauchte. Also rührte er sich nicht von der Stelle und wartete ab, wie festgenagelt vor Angst, man könnte ihn packen und auf den Karren werfen.
    »Werft eure Toten aus dem Haus!«, hörte er wieder jemand rufen.
    Die Stimme klang so leblos wie die eines Gespensts.
    Zwei weitere Leichen fielen auf die Straße. Mathias hörte die schwere Greifzange über den Boden schrammen und wie die beiden Körper auf den Karren fielen.
    Kalter Schweiß lief ihm den Rücken hinunter, als er endlich in der Straße ankam, in der die »mère cornue« wohnte, und er begriff sofort, dass er ohne die Milch, die er Florine versprochen hatte, hier wieder weg musste. Männer, die für die Einhaltung der Hygienevorschriften zu sorgen hatten, waren damit beschäftigt, einen Berg Haushaltsabfälle, Exkremente von Menschen und Tieren und anderen Müll zu verbrennen, den man aus Fenstern und Türen auf die Straße geworfen hatte.
    Der Rauch stieg ihm in die Nase, und diesmal musste er husten. Also gab er es auf, sich weiter Fragen zu stellen, die ihn unter diesen trostlosen Umständen nur verzweifeln lassen konnten, zog sich vorsichtig zurück, machte kehrt und lief auf demselben Weg, auf dem er gekommen war, zurück. In der Nähe der Kathedrale wurde er aber von einigen Männern aufgehalten, die zwei Mönche in die Mitte genommen hatten und heftig mit ihnen diskutierten.
    »Ihr habt kein Recht, über die Frauen und Männer zu bestimmen, denen wir Asyl geben«, sagte einer der beiden, die von Kopf bis Fuß in ihre Kutten gehüllt waren.
    »Die Leute, die sich angesteckt haben und die wir beherbergen, sind allein unsere Sache«, fuhr der andere fort und hielt das
Tuch fest, mit dem er seinen Mund bedeckt hatte. »Macht Eure Arbeit, Messires, und lasst uns unsere machen. Unsere einzige Aufgabe besteht darin, das körperliche und seelische Leid unserer Nächsten zu lindern, soweit wir dazu in der Lage sind.«
    »Eure Kirche ist die reinste Pestbrutstätte. Wir müssen rote Kreuze außen auf die Kirchenmauern malen.«
    »Bitte, macht nur! Das stört uns nicht. Wer in unsere Kirche will, kommt auch so.«
    Die anderen sahen sich unentschlossen an. Mathias musste warten, bis sie mit ihrer Beratung fertig waren. Als sich die beiden Mönche zurückgezogen hatten, hörte er, wie die mächtige Tür von innen verschlossen wurde, und wieder herrschte bedrückende Stille. Die dauerte aber nicht lange, weil die Männer bald mit leiser Stimme weiter debattierten, bis sie sich schließlich einigten und einen Beschluss fassten: Dann machten sie sich daran, rundherum um die Kirche scharlachrote Kreuze auf ihre Mauern zu malen.
     
    Mathias kam erst nach zehn Stunden zurück, und als er die Werkstatt betrat, packte ihn nach seinem kurzen und traurigen Irrweg durch eine alptraumhafte Stadt endgültig das Entsetzen.
    Florine hatte hohes Fieber, zitterte am ganzen Körper und phantasierte. Nur Alix und Jacquou waren bei ihr. Und Jacquou sah blass aus,

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