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Die Seidenstickerin

Die Seidenstickerin

Titel: Die Seidenstickerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jocelyne Godard
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ansprach.
    »Für einen Heller gibt’s zwei Versuche«, sagte er, »und wer dreimal dreht, kann nicht leer ausgehen.«
    Als ihn Louise und der junge Saint-Gelais nur wortlos ansahen, lachte der Gaukler laut los und holte seinen Karren, in dem er wohl die Gewinne verstaut hatte.
    »Hier ist die Drehscheibe«, sagte er und hielt sie Louise hin. »Ihr gewinnt bestimmt. Ich seh’s Euch an, dass Ihr Glück habt.«
    Saint-Gelais hatte ihm bereits eine Münze gegeben, und Louise drehte ein paarmal den Zeiger auf der Scheibe, der schrecklich quietschte.
    »Bianca!«, schrie der Gaukler, »Meine Bianca! Mein Roulette kommt direkt aus Italien, mit dem gewinnt man immer.«
    Er holte ein Stück Papier vor, auf dem irgendwelche Zahlen und Wörter aufgereiht waren; dabei konnte der Mann ganz offensichtlich weder lesen noch rechnen. Was aber keine Rolle spielte, Theaterspielen gehörte zu seinem Beruf.
    »Das warn jetzt drei Versuche und einer gratis dazu. Ihr habt ein Kammetui und eine Anstecknadel gewonnen«, rief er begeistert und kramte die Gewinne aus seinem Karren. Dann reichte er sie Louise und sagte spöttisch:
    »Na! Ist das etwa keine schöne Anstecknadel? Schaut Euch nur mal die hübschen Schnürlöcher und silbernen Verzierungen an. Ist alles echt, garantiert. Und wenn Ihr die erst an Eurem Mantel habt, werden die andern aber neidisch schaun!«
    Louise lächelte irritiert.
    »Das war aber reichlich teuer«, meinte sie an Saint-Gelais gewandt.
    »Ach was«, winkte der ab, »das ist ein Souvenir.«
    »Und Souvenirs sind unbezahlbar«, gab Louise zurück und nahm seine Hand. »Es ist höchste Zeit, dass ich zu Antoinette und Jeanne gehe. Sie machen sich bestimmt schon Sorgen.«
    Und ohne deshalb schneller zu gehen, fügte sie fast keck und mit gerührter Miene hinzu:
    »Dieser Tag war eine harte Prüfung für mich, die Ihr mir sehr erleichtert habt.«
    Sie spürte seinen warmen, tröstlichen Händedruck und dachte plötzlich, wie unpassend das eigentlich an diesem Tag war, an dem der Graf beerdigt worden war. Aber sie zog ihre Hand nicht zurück.
    »Vor allem möchte ich jetzt endlich meine Kinder wiedersehen«, gestand sie ihm. »Sie haben mich in den letzten Wochen kaum zu Gesicht bekommen.«
    Sie schwieg plötzlich, als wäre ihr das doch zu vertraulich gewesen, und drückte dann sanft den Arm von Jean, der neben ihr herging. Sollte er gespürt haben, dass sie ihn damit weder antreiben noch hatte bremsen wollen, besaß er jedenfalls genug Feingefühl, sich das nicht anmerken zu lassen.
    »Werdet Ihr länger in Paris bleiben?«, fragte er immer noch genauso höflich.
    »Ganz bestimmt nicht, Monsieur. Schließlich will ich meine Aufgaben wahrnehmen.«
    »Eure Aufgaben!«
    »Das sind meine Kinder und meine Bücher. Und womit verbringt Ihr Eure Zeit, Monsieur de Saint-Gelais?«
    Er lachte wie zur Entschuldigung und antwortete:
    »Ich habe zwar kein Kind, dafür aber jede Menge Bücher. Ich studiere Rhetorik, Astrologie und Arithmetik. Und ich übersetze Horaz ins Französische. Außerdem dichte ich auch, wie mein Onkel. Ich spiele Laute und Orgel und philosophiere über die großen alten Meister.«
    Sie lächelte ihn an und gab ihm den Ball zurück.
    »Das klingt aber nach einem sehr anspruchsvollen Programm, Monsieur de Saint-Gelais. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, beschäftige ich mich mit den gleichen Künsten.«
    »Ich weiß, dass Ihr auf Eurem Schloss in Cognac einen großen Meister an der Orgel gefangen haltet.«
    »Gefangen! Meint Ihr Meister Imbert Chandelier?«
    »Ja doch, weil niemand außer Euch, Gräfin, in den Genuss seiner Kunst kommt.«
    »Niemand hindert Euch daran, Monsieur, in mein Schloss zu kommen und ihn anzuhören.«
    Er ließ ihren Arm los und sah sie an.
    »Darf ich das als Einladung verstehen?«
    »Ja, das dürft Ihr. Meister Imbert gibt mir jeden Abend eine Orgelstunde, von der auch Madeleine, die Tochter meiner Zofe, profitiert. Warum gesellt Ihr Euch nicht einfach zu uns? So weit ist es ja nicht von Angoulême nach Cognac.«
    »Habt Ihr keine Angst, ich könnte Eure Gastfreundschaft ausnützen und zu oft kommen?«
    Sie schenkte ihm ein bezauberndes Lächeln, das ihn vollkommen aus der Fassung brachte.
    »Sagtet Ihr nicht eben, Ihr übersetzt Horaz ins Französische? Dann übersetzen wir ihn eben gemeinsam.«

13
     
    Als sie die Trauerfeierlichkeiten für Charles d’Angoulême überstanden hatte, konnte Louise endlich der Realität ins Auge sehen. Auf einmal war sie Besitzerin eines Anwesens,

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