Die Seidenstickerin
Louise noch nie gesehen hatte, und sie hörte viele Namen, die sie zwar kannte, denen sie bis dahin aber kein Gesicht hätte zuordnen können.
Die Polignac waren da und drückten sich ganz vorn um den Katafalk von Charles. Antoinette vertraute Louise voll und ganz, aber ihr Onkel Armand de Polignac befürchtete sehr, er müsse vielleicht eine Vormundschaft übernehmen, was ihm gar nicht recht gewesen wäre, nicht zuletzt weil diese Mädchen stattlich bedacht werden mussten.
Die junge Gräfin d’Angoulême wünschte sich das zwar nicht und forderte es auch erst recht nicht ein, aber Charles hatte Antoinettes und Jeannes Kinder testamentarisch ihrer Obhut anvertraut. Das wusste Onkel de Polignac wohl, genauso wie ihm bekannt war, dass Louise mit ihren erst neunzehn Jahren minderjährig war und dass deshalb auch sie um die Einsetzung eines Vormunds bat.
Weil er ein leiblicher Cousin war, wozu er auch stand, erhielt Louis d’Orléans die Vormundschaft. Man kann sich vorstellen, wie sich der gute Onkel Polignac mit dieser prekären Geschichte herumgequält hatte.
Und Jeanne, die schöne Bürgerliche, die Charles eines Tages irgendwo über den Weg gelaufen war, ohne von im Namen und mit einer ziemlich obskuren Abstammung – sie konnte nur auf Louise vertrauen, was die Zukunft ihrer Tochter betraf, die noch viel zu jung war, als dass man sie hätte verheiraten können.
Weil an diesem Tag die Kathedrale d’Angoulême vollbesetzt war mit vornehmen Herrschaften, die sich mit trauriger Miene in den Bänken drängten, hielt es auch der gute Bischof von Angoulême für angebracht, eine äußerst theatralische Klage anzustimmen.
Seit dem Abgang von Bischof de Montbron, einem Prälaten, der Charles und Louise getraut hatte, hatte der Graf d’Angoulême den Bischofssitz einem entfernten Verwandten übergeben, Octavien de Saint-Gelais, einem unermüdlichen Poeten, der unerbittlich die Verse seiner Elegien zu rezitieren pflegte.
Immer wieder trocknete der gute Octavien seine Tränen mit einem feinen weißen Batisttaschentuch, als er das Grab des Grafen Jean d’Angoulême öffnen musste, um den Leichnam des Sohnes an seiner Seite zu bestatten.
Jeder wartete darauf, dorthin gehen zu dürfen, um eine verstohlene Träne zu vergießen, aber obwohl Bischof Octavien herzzerreißend weinte, wollte er es sich doch nicht nehmen lassen, an die achthundert Verse seiner Dichtkunst vorzutragen.
In der Kirche war es bald eiskalt, und vom Chor der Kathedrale bis an die äußersten Enden des Mittelgangs, vom Sanktuarium bis hin zu den Querschiffen, hörte man das leise Scharren von Füßen, unterdrücktes Husten und dieses unruhige Herumgerutsche, bei dem man sich umdreht, um nach einem bekannten Gesicht zu sehen. Und diese ganze Unruhe rührte von den endlosen Gedichten her, die Octavien de Saint-Gelais rezitierte.
Nachdem die Feier mit Gesängen beendet worden war, die der talentierte Imbert Chandelier an der Orgel begleitet hatte, begab sich die Trauergesellschaft nach Paris, um das Herz des verstorbenen Grafen d’Angoulême in der Cölestinerkapelle, die den Valois vorbehalten war, zu begraben.
Louise kannte die Hauptstadt nicht und fand dort einen tristen, lichtlosen und engen Himmel vor. Alles war fremd, und an den Bildern und Gerüchen spürte man nicht einmal, welche Jahreszeit war, obwohl ihr dieses Gefühl so wichtig war.
Um diese Zeit verströmten die harte, trockene Erde um ihr altes Schloss herum, die Bäume, die ihr letztes Grün verloren, und die staubigen, steinigen Wege einen so besonderen Duft, dass man gar nicht anders konnte, als im Einklang mit der Natur zu leben.
»Mir scheint, Ihr seid sehr einsam«, flüsterte da plötzlich jemand neben ihr in der mittlerweile menschenleeren Kapelle.
Louise wandte sich um und erblickte erstaunt einen jungen Mann, der sie mit einem verhaltenen Lächeln ansah, das nur darauf wartete, sich auf seinen schönen Lippen zeigen zu dürfen.
Da Louise nicht verärgert wirkte, sondern eher erfreut über seine einfühlsamen Worte, fasste er sich ein Herz und sagte:
»Es muss sehr traurig sein, wenn man so jung Witwe wird?«
So überrumpelt wagte Louise nicht zu antworten, wie es einer trauernden Witwe angestanden hätte. Sie seufzte nur und meinte:
»Es wäre noch viel trauriger, wenn ich meine Kinder nicht hätte.«
Jetzt erhob sich der große junge Mann, und das Lächeln, das er bis eben noch aus Schicklichkeitsgründen unterdrückt hatte, erstrahlte endlich in seinem schönen
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