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Die Seidenstickerin

Die Seidenstickerin

Titel: Die Seidenstickerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jocelyne Godard
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Gesicht.
    Noch nie hatte Louise einen derart verführerischen jungen Herrn gesehen. Seinem vornehmen Aussehen und Benehmen nach zu urteilen, stammte er bestimmt von einem Hof, an dem noch die alten strengen Regeln des Ritterstandes galten. Vielleicht aus Blois, wo ihr Cousin Louis d’Orléans lebte, der als vornehmer Herr mit aufwändigem Lebensstil und Raritätensammler galt. Oder er kam aus Amboise, wo Königin Anne angeblich die angenehmste Gesellschaft um sich versammelte.
    »Ich kenne Euch, Gräfin, aber wir sind uns leider noch nie begegnet.«
    Ihre Blicke trafen sich – die hellblauen Augen des jungen Mannes und Louises dunkelgrüne, die vor Neugier funkelten.
    »Ich glaube auch nicht, dass ich Euch schon einmal begegnet bin, mein Herr, außer vielleicht heute Morgen, als wir beide unsere Finger gleichzeitig in den Weihwasserkessel hier in der Kirche tauchten.«
    »Ich hatte nur Augen für Euch, Madame.«
    »Ihr seid meiner Aufmerksamkeit auch nicht entgangen.«
    Sie sprach ein wenig distanziert, zeigte ihm aber dennoch, wie sehr sie diese Unterhaltung genoss.
    »Ich weiß leider nicht, zu welchem Hof Ihr gehört, Monsieur, er muss aber wohl sehr angesehen sein.«
    »Zu keinem, Madame.«
    Sie kam einen Schritt näher und sah sich diesen jungen Mann genauer an, der so höflich und kühn zugleich war.
    Er hatte eine gute Figur, lange Beine, schmale Hände und hellblondes Haar, das sein herzförmiges blasses und beinahe weibliches Gesicht umrahmte. In seinem weißen Wams mit der dazu passenden Kniehose wirkte er sehr jugendlich.
    Dieser einnehmende junge Herr hielt es für unpassend, sich hier in der Kapelle, in der es noch nach Weihrauch roch und eben noch gebetet worden war, in aller Form und mit gezogenem Hut vorzustellen.
    »Ich bin Jean de Saint-Gelais«, sagte er nur.
    Louise sah ihn überrascht an.
    »Dann seid Ihr ja mit unserem Bischof in Angoulême verwandt?«
    »Ich bin sein Neffe.«
    Sie reichte ihm graziös die Hand.
    »Ich nehme an, Monsieur de Saint-Gelais, dass ich Eure Cousine bin, wenn auch natürlich eine entfernte und angeheiratete; eine Kleinigkeit, die aber nichtsdestoweniger ein anderes Verhalten rechtfertigt. Würdet Ihr so freundlich sein und mich zu meinen Zofen bringen? Ich habe keine Ahnung, wo sie sind, und ich hoffe sehr, sie sind nicht am anderen Ende der Welt.«
    Der junge Mann ließ sich nicht lange bitten, und Louise legte ihre Hand auf den Arm, den er ihr gereicht hatte.
    »Ihr kennt Paris also noch nicht?«, fragte er sie freundlich.
    »Ich bin noch nie hier gewesen«, gab sie nur zur Antwort.
    Als sie die Kapelle verließen, deren Dunkel sie wie ein weiter, bequemer Mantel umhüllt hatte, und in das graue Tageslicht traten, das hinter den nahen Dächern verschwomm, wurden sie sehr unsanft mit der rauen Wirklichkeit konfrontiert.
    Kutschen und Pferde jagten an ihnen vorbei. Die eisenbeschlagenen Räder aus Holz machten einen ohrenbetäubenden Lärm, und die Kutscher ließen unter lautem Rufen ihre Peitschen knallen.
    Bleicherinnen und Waschfrauen kamen vom Seineufer zurück, Arme und Schultern beladen mit frischer Wäsche.
    Je mehr sich Louise der Stelle näherte, wo sie von ihren Zofen erwartet wurde, umso lauter und vielfältiger wurden die Geräusche. Nicht einmal auf dem Hauptplatz von Angoulême hatte sie je so einen Radau erlebt, außer vielleicht an einem Markttag, wenn Vieh verkauft wurde.
    »Nach diesen Stunden der Besinnlichkeit muss Euch die ganze Unruhe hier sehr zusetzen?«, meinte Saint-Gelais.
    »Ganz im Gegenteil«, antwortete Louise und sah sich neugierig um, »es lenkt mich etwas ab.«
    Lautes Gerassel, Gebrumm und Geschrei, das Geklirr der Becher und Eimer an den Gürteln der Wasserträger, die ihren Vorrat direkt aus der Seine schöpften, die spitzen Schreie, mit denen die Wachszieher ihre Talgkerzen und Wachsfackeln anboten, und das noch lautere Geschrei der Fleischergesellen, mit dem sie die großen hölzernen Läden öffneten, um ihre Ware anzubieten.
    Ein Flickschuster rief, dass er Sohlen und Kappen fast umsonst reparierte, und Bandhändler boten den Frauen mit wissender Miene Schleifen und Schnüre an.
    »Für Eure Unterröcke, meine Hübschen, für Eure Unterröcke!«, rief einer und zwinkerte jeder Frau zu, die bei ihm stehen blieb. »Da kriegt Ihr eine schöne, schlanke Figur und gefallt Eurem Mann. Und darauf kommt’s an!«
    Er wollte sich gerade die Gräfin d’Angoulême vornehmen, als sie ein Losverkäufer mit Hut, Rock und grüner Kniehose

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