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Die Seidenstickerin

Die Seidenstickerin

Titel: Die Seidenstickerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jocelyne Godard
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einem Bein im Grab stand, schwankte Antoinette zwischen Missbilligung und Verständnis. In jedem Fall weigerte sie sich, Louises fröhliche Art zu akzeptieren, und je lebhafter diese wurde, umso mehr zog sie sich in ihre Ecke zurück und gab sich gleichgültig und unbeteiligt.
    Wenn Louise Antoinettes vorwurfsvollen Blick bemerkte, redete sie etwas leiser und versuchte, ihr Benehmen zu mäßigen. Sie ergriff die Gelegenheit, auf den Boden der Tatsachen zurückzukommen, als sich Jeanne mit Alix über deren bevorstehende Rückkehr ins Val de Loire unterhielt.
    »Ihr solltet noch nicht aufbrechen, Alix, Ihr habt doch alle Zeit der Welt«, sagte sie, an ihren jungen Gast gewandt.
    »Ach, Louise, ewig kann ich Euch doch nicht zur Last fallen. Ich muss jetzt wirklich an meine Abreise denken. Jacquou ist bereits seit zehn Monaten weg. Bestimmt wartet er schon auf mich!«
    Sie sah in ihren Schoß, die Niedergeschlagenheit überkam sie wieder, und bei dem Gedanken an ihr verlorenes Kind begann sie zu weinen.
    »Wie soll ich ihm das nur sagen?«, schluchzte sie.
    »Seid doch nicht so traurig, Ihr bekommt bestimmt noch mehr Kinder. Euer Leben fängt doch eben erst an, kleine Alix!«, rief ihr plötzlich Antoinette zu und wandte ihr das noch immer bleiche, traurige Gesicht zu.
    Jeanne war ganz überrascht von diesem unerwarteten aufmunternden Zuspruch und wiederholte, während sie weiterstickte, ohne von ihrer Arbeit aufzusehen:
    »Ja, Ihr bekommt bestimmt noch andere Kinder.«
    »Ich glaube, das könnt Ihr nicht verstehen. Ich will keine ›anderen Kinder‹«, erwiderte sie wehklagend, »ich hatte mir so sehr dieses Kind gewünscht, das ich jetzt verloren habe.«
    Dann wischte sie sich die Tränen mit dem Handrücken weg und fuhr etwas vergnügter fort:
    »Du lieber Himmel! Was macht Ihr denn da, Dame Jeanne? Ich habe Euch diesen Stich doch schon erklärt. So wird das aber nichts.«
    Jeanne lächelte sie an und hielt ihre Stickerei ins Licht; die Kerzen in den großen Kandelabern beleuchteten nur einen Teil des Salons.
    »Ist es wahr, dass Ihr für Königin Anne gestickt habt?«
    »Schon, aber da war ich ja noch so jung!«
    »Jünger als ich?«, fragte Souveraine und kam zu Alix, um ihr den kleinen Stickrahmen zu zeigen, den ihr ihre Mutter gegeben hatte, solange sich Marguerite ein Bilderbuch ansah.
    Alix sah das kleine Mädchen aufmerksam an. Souveraine hatte wenig Ähnlichkeit mit ihrer Mutter. Abgesehen von ihrem blonden Haar und den himmelblauen Augen kam sie nämlich ganz nach ihrem Vater und hatte sein verschmitztes Wesen, seinen funkelnden Blick und seine direkte, alles andere als affektierte Art geerbt, weil sie sich im Gegensatz zu ihrer Mutter nie zierte.
    »Nein«, antwortete Alix, »ich war etwa so alt wie du jetzt. Als meine Mutter starb, hat mich Meister Yann in seine Werkstatt geholt, weil sie bei ihm in die Lehre gegangen war und dort schon lange gearbeitet hatte.«
    »Was wurde dann aus Euch nach dem Tod Eurer Mutter?«
    »Ich weiß noch, dass mich drei Stickerinnen, die mit meiner Mutter befreundet waren, in ihre Obhut genommen haben – Eloïse, Annette und Gaëlle. Als Königin Anne sie nach Amboise gerufen hat, weil sie ihren Bestand an persönlichen Stickerinnen aufstocken wollte, bin ich mit ihnen gegangen. Sie haben mich in der Kutsche versteckt, die uns ins Val de Loire gebracht hat.«
    »Versteckt?«
    »Ja, versteckt. Meinen Jacquou habe ich ganz hinten auf dem Boden einer Kutsche kennen gelernt.«
    »Und warum habt Ihr ihn dann verlassen?«, fragte das kleine Mädchen neugierig, weil es sich für das Schicksal dieser jungen Frau interessierte, die wie ein vom Himmel gefallener verletzter Vogel auf ihrem Schloss gelandet war.
    »Als wir in Amboise angekommen sind, war Charles VIII. leider tot, und Königin Anne verwarf alle ihre Pläne und wollte zurück in die Bretagne.«
    »Und was ist dann aus Euch geworden?«, fragte nun Jeanne ihrerseits neugierig geworden.
    »Man hat mich ins Kloster gesteckt, wo ich vier Jahre bleiben musste.«
    »Und dann?«, fragte Souveraine.
    »Dann bin ich weggelaufen und nach Tours gegangen, weil ich zu meinem Jacquou wollte. Aber sein Vater hat mich wieder nach Nantes gebracht, und ich musste zurück in Meister Yanns Werkstatt.«
    Sie beugte sich über Jeannes Arbeit, sah sie sich genau an und zeigte ihr dann, wie sie den Stich machte, der Jeanne immer wieder missglückte.
    »Das ist ein Plattstich, den man auf der Rückseite aufnehmen muss, indem man den Faden durch

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