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Die Seidenstickerin

Die Seidenstickerin

Titel: Die Seidenstickerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jocelyne Godard
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das sich in einem armseligen Zustand befand. Ein Dach und der Hauptturm mussten dringend repariert, die Schlossmauer ausgebessert und ein mehr als baufälliger Flügel komplett renoviert werden.
    Louise wollte alle diese Aufgaben in Angriff nehmen, genau wie auch die Frage der Bezahlung der Dienstboten, die schon lange keinen Lohn mehr erhalten hatten, und dabei sehr überlegt vorgehen, um den Familienbesitz möglichst gut zu verwalten.
    Bekanntlich versank sie nicht in tiefer Trauer um ihren Mann, was vielleicht ihre Hoffnungen und Pläne hätte vereiteln können.
    So wie sie, aber aus ganz anderen Gründen, hatte auch Jeanne den Grafen d’Angoulême nicht so sehr geliebt, als dass sie seinen Tod jetzt sehr lange beweint hätte. Wahrscheinlich trauerte ihre Tochter Souveraine mehr um ihn; denn während Charles ja wirklich alles andere als treu gewesen war, blieb er doch bis zuletzt für seine Nachkommenschaft – egal ob ehelich oder unehelich – ein liebevoller und aufmerksamer Vater.
    Antoinette, die von den drei Frauen am meisten unter dem Verlust ihres Geliebten litt, ging seit seinem Tod abends früh schlafen und ließ Louise und Jeanne mit ihren Gesprächen im Wohnzimmer allein. An diesem Abend leistete sie ihnen aber zum ersten Mal Gesellschaft, wobei sie allerdings nur die ganze Zeit das flackernde Licht der Kerzen in den großen silbernen Kandelabern anstarrte.
    Louise ging alles Mögliche durch den Kopf, aber immer wieder erschien Saint-Gelais’ Bild vor ihr. Und wenn sie nicht redete oder den anderen zuhörte, was besonders oft bei ihren Kindern vorkam, bedrängten sie stets von neuem die Worte, die ihr Jean ins Ohr geflüstert hatte, als sie nach der Beerdigung auf einmal mit ihm allein gewesen war.
    Wie hätte sie diesen Traum von einem Mann auch vergessen sollen? Jean de Saint-Gelais bedeutete für sie alles, was ihr bisher versagt war: Lust, Hoffnung, Begehren, einen Hauch von wilder Leidenschaft, den Louise noch nicht hatte kosten können.
    Wie oft hatte sie sich schon im Stillen gefragt, ob er wohl nach Cognac kommen würde, was sie sich so sehr wünschte. Würde er ihre kühne Einladung annehmen, und fände er es wirklich angenehm, mit ihr Horaz ins Französische zu übersetzen?
    »Ich sehe mal nach Alix«, sagte Louise zu Jeanne. »Der armen Kleinen ist so langweilig.«
    »Kann sie nicht kommen und uns Gesellschaft leisten?«
    »Sie will nicht; ich fürchte, sie ist sehr niedergeschlagen.«
    Auf dem Weg zum rechten Schlossflügel, in dem sich das Zimmer von Alix befand, träumte Louise von ihrem Leben – sie war gerade erst zwanzig geworden – und genoss das Vergnügen, das Bild von Saint-Gelais dazuzuträumen. Jetzt ging es ihr wie Antoinette, und sie wäre am liebsten den ganzen Abend allein geblieben, um sich ihren närrischen Gedanken hinzugeben.
    Ob man ihr wohl diese verliebten Träumereien gönnen würde, ihre ersten, wenn man mal von den ziemlich ängstlichen Gefühlen absah, die sie mit zwölf Jahren für einen alten Verlobten gehegt hatte, der sie noch nicht anrührte und sie wegen ihrer naiven Fragen auslachte?
    Sie klopfte und betrat das Zimmer von Alix, die sich nur ganz allmählich von einer schweren Lungenentzündung erholte, die sie sehr geschwächt hatte. Ein paar Wochen zuvor hatte Louise noch geglaubt, es handle sich nur um eine große Erschöpfung, aber als das junge Mädchen gar nicht wieder zu Kräften kam und ständig Fieber hatte, war bald klar, dass es doch an einer ernsten Erkrankung litt.
    Blass und still lag Alix auf ihrem Bett mit den zurückgezogenen Bettvorhängen. Sie hatte die Krankheit zwar überstanden, wirkte aber noch immer sehr bedrückt und machte einen blutleeren, erschöpften Eindruck. Als der Doktor, der sie behandelte, endlich mit Sicherheit sagen konnte, dass sie nicht an der gleichen Krankheit wie der Graf d’Angoulême litt, hatte man sie wieder ins Schloss zurückgeholt, damit sich die Dienstboten um sie kümmern konnten.
    Doch auch nach überstandener Krankheit war Alix eigentlich viel zu schwach für die bevorstehende Entbindung. Sie aß wenig, weil sie keinen Appetit hatte, und gab sich ganz ihren düsteren Gedanken und vor allem der großen Angst hin, Jacquou nicht wiederzusehen.
    Sollte sie etwa das gleiche Schicksal erleiden wie Léonore, die von der Pest geschwächt im Kindbett gestorben war? Würde sie Louise, die ihr in ihren letzten Stunden beistand, mit einer flehenden Geste das Kind hinhalten und sie bitten, für es zu sorgen – so

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