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Die Seidenstickerin

Die Seidenstickerin

Titel: Die Seidenstickerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jocelyne Godard
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gesehen. Gegenwärtig arbeitete er nämlich mit Albrecht Dürer, so wie andere große Weber vor ihm mit dem Maler Van Eyck gearbeitet hatten.
    Coëtivy fertigte zunächst eine Reihe von Aquarellen und Gouachen für einen großen Wandbehang mit Blumenmustern an und entwarf dann zusammen mit dem Flamen Van Aelst ein Ensemble zum Thema Christi Geburt mit dem Titel »Tapis d’Or« oder die »Panos de Oro«, die Jeanne von Kastilien, die Gattin Philipps des Schönen, in Auftrag gegeben hatte. Ihre Komposition war von der Armenbibel inspiriert und erinnerte sehr an die holzgeschnitzten Altarstöcke des vorhergehenden Jahrhunderts.
    In Anbetracht dieser vielen Pläne, von denen Coëtivy sicher keinen fallen lassen wollte, würde er also kaum so schnell zurückkommen. So konnte Alix ganz unbeschwert von ihrem glücklichen Wiedersehen mit Jacquou träumen, den sie in der Provinz Hainaut treffen wollte, wo sich die berühmte Weberwerkstatt von Enghien befand.
    Das Wetter war frühlingshaft warm und die Nächte mild, und die Straße, die am Ufer der ihr allmählich recht vertrauten Loire entlangführte, war groß und breit – all diese erfreulichen Umstände führten dazu, dass Alix Tours ziemlich schnell erreichte.
    Der Fluss strömte friedlich in seinem schönen zarten Grau dahin, das der für das Val de Loire typische wolkenlose Himmel bläulich färbte.
    Als Alix der letzten großen Flussbiegung in die Stadt gefolgt war und sich in den engen Gassen wiederfand, die in die Stadtmitte führten, bekam sie große Lust, ihre Freundin Arnaude zu besuchen, ehe sie über Paris ihre Reise nach Flandern fortsetzen wollte.
    In den vergangenen Monaten hatte ihr Arnaude immer wieder sehr gefehlt – so wie auch ihre Arbeit, die Werkstatt, die Webstühle, die Wandteppiche mit ihren herrlichen Farben und die Zeichnungen auf den Kartons, die sie interpretieren durfte, wie sie wollte, solange sie nicht an Anordnung und Thema rührte.
    Sie wollte unbedingt Arnaude und ihr Kind wiedersehen. Bestimmt bedeutete es für sie Freude und Trauer zugleich, wenn sie den Sohn ihrer Freundin sah, aber so war es nun einmal. Wie oft hatte sie an den kleinen Guillemin gedacht, der ja mittlerweile schon sehr groß geworden sein musste! Wenn ihr Sohn noch leben würde, wäre er gar nicht so viel jünger. Sie hätte ihn stolz und glücklich ihrer Freundin geben und Guillemin auf den Arm nehmen können, und dann hätten beide Mütter lachend ihre Erfahrungen ausgetauscht.
    Beinahe wäre sie bei diesem Gedanken in Tränen ausgebrochen, bekämpfte dann aber erfolgreich ihre düstere Stimmung, die ihr nur schaden konnte, wo sie doch wachsam bleiben und die Augen offen halten musste.
    Sie wollte also einen kurzen Halt in Tours machen, um Arnaude, Arnold und ihr Kind zu sehen, und dann im Norden der Stadt die Straße Richtung Paris nehmen.
    Sobald sie in der Hauptstadt mit dem für sie ungewohnten starken Verkehr auf den Avenuen und Boulevards und dem quirligen Treiben in den versteckteren, aber nicht weniger belebten Gassen, Sträßchen und Wegen eingetroffen war, sollte sie auf Dame Bertrandes Anraten hin Dame Le Guennec aufsuchen.
     
    Doch während Alix schon von ihrem ersten Besuch in der Hauptstadt Paris träumte, befand sie sich nun erstmal noch vor den Toren von Tours.
    Kaum war sie vom Loireufer in Richtung Stadtmitte abgebogen, als sie hörte, dass ihr ein Gespann folgte. Deshalb hielt sie sich umsichtig am Straßenrand und wollte den Wagen vorbeilassen, dessen hölzerne Räder auf dem holprigen Pflaster laut quietschten. Das Pferd hinter ihr war auf jeden Fall schneller als Amandine; die schien nämlich zu glauben, dass sie sich nicht mehr so beeilen musste, wenn sie in eine Stadt kamen, wo dann ihre Herrin das Sagen hatte.
    Obwohl sie sich schon gegen eine Mauer drückte, spürte Alix plötzlich, wie der Wagen so nah an ihr vorbeikam, dass sie es mit der Angst zu tun bekam. Sie fürchtete, die Kutsche würde sie erdrücken, aber sie konnte nicht weiter ausweichen – die spitzen Mauersteine bohrten sich ihr schon in den Rücken.
    Als das Gespann ganz nah bei ihr war, sah Alix, wie das Pferd scheute, ein paar Schritte zurückmachte und von oben zwei kräftige Hände aus einem grauen Umhang auftauchten und sie an den Schultern packen wollten.
    Sie schrie und wollte sich losreißen, weil sie aber so eingekeilt war, fiel sie nur noch mehr nach vorn und in die Arme des Mannes, der sie eisern festhielt. Amandine begann zu schreien, und Alix wurde zur Seite

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