Die Seidenstickerin
geschleudert, ohne auf diesen unerwartet heftigen Angriff reagieren zu können.
Aber das Muli war wieder bei Kräften und kam ihr zu Hilfe. Mit einem Mal von dem Gewicht seiner Reiterin befreit, warf es sich gegen den Wagen, dessen Kutscher Alix noch immer an den Schultern festhielt. Amandine war keines dieser Maultiere, die sich nicht zu verteidigen wissen. Wenn es gefährlich wurde, und die Lage sich zuspitzte, kam sie erst richtig in Fahrt.
Mit einem kräftigen und gut gezielten Kopfstoß, der den Angreifer zum Glück völlig überraschend traf, warf sie den Mann um, der daraufhin seine Beute loslassen musste.
Alix hörte ihn laut fluchen. Jetzt war sie im Vorteil, weil er noch nicht von seinem Kutschbock heruntergekommen war, von dem aus er sie gepackt hatte.
»Was wollt Ihr von mir?«, schrie sie.
Die Angst schnürte ihr die Kehle zu, weil der Mann seine Kutsche so quer auf die Straße gestellt hatte, dass Alix gefährlich eingezwängt war, und sie ihm weder nach links noch nach rechts entwischen konnte. Es gab keinen Ausweg, gerade genug Platz zum Atmen auf einem winzigen Fleck zwischen Mauer und Kutsche.
Da fiel ihr plötzlich das Messer ein, das Arnold ihr gegeben hatte, als sie sich damals von ihren Freunden verabschieden musste. Sie schob die Hand in die Tasche, tastete nach der Waffe und spürte ihren kühlen Griff auf der Haut. Jetzt musste sie nur noch die Schnur aufknoten, mit der das Messer befestigt war, und es unbemerkt hervorholen.
Und da war die Klinge und funkelte im schwächer werdenden Abendlicht. Mutig richtete sie die Waffe auf den Mann, der sie aber nur auslachte.
»Lass den Unsinn und steig auf.«
»Warum sollte ich das tun?«
»Weil ich es dir sage.«
Er sprang von seinem Sitz und stand nun mit drohender Miene direkt vor ihr. Der Mann war klein und untersetzt, hatte struppiges und schmutziges blondes Haar, eine rote Nase und ein Narbengesicht. Und er benahm sich wie einer dieser grobschlächtigen Gauner, die manchmal bis zum Äußersten gehen.
»Lasst mich vorbei!«, schrie Alix, »Ihr habt mir nichts zu befehlen!«
»Das werden wir ja sehen«, zeterte der Mann.
Er kam noch näher, wobei ihn aber der eigene Wagen störte, der immer mehr zur Wand rutschte und ihn so in eine unvorhergesehen unangenehme Situation brachte. Doch dann befreite sich der Mann aus dieser misslichen Lage und schrie wieder: »Steig endlich auf!«
»Verbrecher! Dieb! Mörder!«, schrie Alix. »Rührt mich ja nicht an!«
Der Mann kratzte sich wütend am Hals und stieß Alix voller Wucht gegen die Mauer. Sie spürte einen stechenden Schmerz im Rücken, wollte sich davon aber nicht ablenken lassen, um keinen fatalen Fehler zu begehen. Besser ließ sie den Angreifer nicht aus den Augen, der keine Anstalten machte, sich zurückzuziehen.
»Steig endlich auf, und mach keine Geschichten. Hast du verstanden? Wenn du Ärger machst, wirst du das später bereuen.«
»Ich soll aufsteigen? Das soll wohl ein Witz sein. Wenn Ihr näher kommt, kriegt Ihr mein Messer zu spüren!«
Als er sie auslachte und trotzdem immer näher kam, wollte sie ihm das Messer in den Arm bohren. Aber er war schneller und vor allem viel erfahrener in solchen Situationen, packte sie am Handgelenk und drehte es so gemein um, dass sie loslassen musste. Das Messer glitt ihr aus der Hand, und sie hörte nur, wie die Klinge mit einem metallenen Geräusch aufs Pflaster fiel.
Verzweifelt sah sie sich nach Amandine um, die aber verschwunden war. Dem Muli war es gelungen, auf die andere Seite der Kutsche zu gelangen, und es trat und stieß jetzt dem Pferd so wild in die Flanke, dass das arme Tier unruhig wurde und anfing auszuschlagen, zu stampfen und sich irgendwie losreißen wollte, bis dem Lenker nichts anderes übrig blieb, als es zu beruhigen.
In diesem Augenblick nutzte Alix die Gelegenheit, die ihm das Pferd unfreiwillig bot, als es sich auf die Hinterbeine stellte, und schlüpfte durch den Spalt, der so entstanden war.
Hastig griff sie nach Amandines Halfter, zog sie zu sich und schwang sich, ohne sich um ihre übrige Habe zu kümmern, auf ihren Rücken. Mit wild klopfendem Herzen trieb sie ihr Muli an – dabei wäre Amandine ohnehin so schnell sie konnte getrabt, wobei sich Alix immer wieder vergewisserte, dass sie nicht mehr verfolgt wurden, und irgendwann ohne weitere Zwischenfälle bei Arnaude eintraf.
»Ach, Arnaude, du kannst dir gar nicht vorstellen, wie froh ich bin, bei dir zu sein!«, rief Alix und fiel ihrer Freundin um
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