Die Seidenstickerin
Coëtivy wusste jetzt, dass sie mit den Tuchhändlern reiste und würde sich schon etwas einfallen lassen, um Alix in seine Gewalt zu bekommen. Nein, schlimmer konnte es wirklich nicht mehr für sie kommen.
Während sich Florine noch darüber wunderte, dass ihre Freundin kein Wort sagte, sah sie sie plötzlich aufstehen und wie eine Schlafwandlerin auf die drei Männer zusteuern, die der Gastwirt zu einem Tisch führte, an dem es bereits recht eng zuging.
Alix musste sich einen Weg bahnen und gebrauchte ihre Ellenbogen, um durchzukommen. Irgendwie schien ihr das Getöse aber Mut zu machen, und ihr Entschluss stand fest. Außerdem blieb ihr jetzt auch gar nichts anderes mehr übrig. Coëtivy hatte sie entdeckt und würde keine Ruhe geben, ehe er sie ausgeschaltet hatte.
Sie stand jetzt vor dem Tisch, an dem die drei Männer gerade Platz genommen hatten. Ihren Peiniger beachtete sie zunächst gar nicht, sondern machte eine kleine Verbeugung vor Herrn Cassex.
»Entschuldigt, bitte! Darf ich kurz stören?«, fragte sie ernst. »Ich habe gehört, Ihr seid Herr Cassex?«
»Ja, das ist richtig. Was verschafft mir die Ehre, Demoiselle?«
»Und Ihr seid ein Weber aus Brügge?«
Der Mann musste lachen.
»Nun ja, ich bin vielleicht nicht der größte, aber gewiss einer der wichtigsten. Was meint Ihr dazu, Pierre?«
Coëtivy antwortete nicht. Er biss die Zähne zusammen und schien sich etwas zurechtzulegen. Alix wusste, dass er jetzt erstmal die Lage sondierte. Coëtivy überlegte. Wieder einmal wollte ihm dieses kleine Miststück übel mitspielen, und er wusste nicht, was er vor seinen Begleitern sagen sollte. Hatte er etwa geglaubt, dass sie sich verstecken würde? Wie gedachte sie seiner starken Faust zu entkommen? Also wartete er einen günstigen Augenblick ab, um das Netz auszuwerfen, in das sie ihm gehen sollte.
»Dann müsst Ihr doch wohl zur Familie eines gewissen Jacquou gehören, der in Nantes aufgewachsen ist, in Tours und Paris gearbeitet hat und jetzt in der Weberei von Meister Coëtivy in Enghien den Meister machen will«, sagte Alix.
An seinem fragenden Blick und der gerunzelten Stirn konnte Alix erkennen, wie überrascht der Mann war, und sie wiederholte ihre Frage, jetzt noch leiser:
»Gehört Ihr zur Familie von Jacquou, der gerade seinen Meister gemacht hat?«
Die letzten Worte gingen in dem Lärm von Geschirr, das zu Bruch ging, unter. Also wiederholte Alix ihre Frage noch einmal und beugte sich zu ihm.
»Gehört Ihr zur Familie von Jacquou, der gerade seinen Meister gemacht hat?«
»Beachtet sie nicht«, fuhr nun Coëtivy dazwischen. »Ich kenne sie, sie ist zu allem fähig, wenn sie sich wichtig machen will.«
»Ja, ich bin zu allem fähig, wenn es darum geht, meinen Mann zu finden, der Jacquou Cassex heißt und dessen Vater Ihr seid.«
»Aber, Pierre!«, rief Martin Cassex erstaunt, Ihr habt mir nie erzählt, dass Ihr Jacquou anerkannt habt!«
»Das ist auch noch nicht lange her«, bemerkte Alix spöttisch. »Und obwohl er ihn jetzt gezwungenermaßen seinen Sohn nennt, behandelt er ihn nach wie vor wie seinen Schüler und will ihm sogar vorschreiben, wen er lieben darf oder nicht.«
»Hört nicht auf sie, Martin. Sie ist nicht ganz richtig im Kopf. Sie bildet sich ein, sie wäre die Frau von Jacquou, hinter dem sie schon seit Jahren her ist.«
»Das ist nicht wahr, und das wisst Ihr auch! Kardinal Jean de Villiers hat uns verheiratet.«
»Jean!«, sagte Cassex leise. »Jean de Villiers, mein Bruder! Aber …«
»Sie kennt die Geschichte«, unterbrach ihn Coëtivy. »Sie will Euch nur etwas vormachen.«
Alix war jetzt weiß vor Zorn, als sie sich wieder an Martin wandte.
»Mache ich Euch wirklich etwas vor, wenn ich Euch an das kleine Einhorn erinnere, das Léonore ihr Leben lang wie einen Schatz gehütet hat? Oder wenn ich von Isabelle spreche, die es Jacquou gegeben hat, als sie ihm erzählte, wer sein Vater ist? Oder wenn ich Euch sage, dass Meister Coëtivy nicht wahrhaben will, dass ich Jacquous Frau bin, weil ich nur ein armes Waisenmädchen bin und er sich für Jacquou eine bessere Partie erträumt hat?«
Sie wurde immer wütender.
»Glaubt doch, was Ihr wollt, Herr Cassex. Ich werde Jacquou jedenfalls finden, weil es mir nämlich nur um unser beider Glück geht.«
Dann wandte sie sich wieder an ihren Feind und sagte verächtlich:
»Und wenn Ihr mich wieder einsperren wollt, damit mir das nicht gelingt, Meister Coëtivy, kann ich Euch jetzt schon sagen, dass ich Euch
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