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Die Seidenstickerin

Die Seidenstickerin

Titel: Die Seidenstickerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jocelyne Godard
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zusammen machen. Ich gebe zu, dass mich das sehr beruhigt und mir entgegenkommt, weil ich es gar nicht mag, wenn sie allein unterwegs ist.«
    »Aber, Tante! Ich mache die Reise von Paris nach Lille zu meinem Onkel doch nicht zum ersten Mal.«
    Aber die Witwe redete wie üblich weiter, ohne auf die Einwände ihrer Gesprächspartner zu achten. Also schnitt sie jetzt auch ihrer Nichte das Wort ab und sagte:
    »Ich helfe dir beim Packen, mein Kind. Du darfst ja nichts vergessen. Hier ist es zwar schon Frühling, aber die Nächte sind noch kalt, vor allem im Norden, wo es sogar noch frieren kann. Deshalb musst du deinen warmen Umhang, die Wintermützen und die gefütterten Stiefel mitnehmen.«
    »Liebe Tante«, protestierte Florine, »ich brauche doch nicht die ganzen Sachen für den nächsten Winter! Bis dahin bin ich längst zurück.«
    »Du kommst erst wieder, wenn du mir deinen Verlobten vorstellen kannst, meine Liebe. Und jetzt wollen wir über deine Heirat reden.«
    »Aber das ist doch noch gar nicht sicher, liebe Tante.«
    »Florine!«, wies sie Dame Le Guennec zurecht. »Diesmal reist du nicht nach Lille, um deinen Onkel zu besuchen, sondern um Peter Van Brook kennen zu lernen.«
    Florine nickte zwar, sagte aber nichts. Eigentlich wollte sie schon lieber in Lille als in Paris leben, weil es ihr mehr Spaß machte, in der Werkstatt ihres Onkels zu arbeiten, als im Laden ihrer Tante anspruchsvolle, zickige oder eingebildete Kundinnen zu bedienen. Aber was sollte das jetzt werden? Wollte man ihr etwa einen Ehemann aufzwingen?
    Florine dachte nicht daran, die Entscheidungen ihrer Tante, und noch weniger die ihres Onkels, in Frage zu stellen. Weil sie schon als kleines Kind ihre Eltern verloren hatte, war sie von ihrer Pariser Tante und dem Onkel aus Lille aufgezogen worden. So wuchs sie zu einem braven und gelehrigen Mädchen heran, zu dem man sich nur beglückwünschen konnte. Diesmal hatte Florine aber etwas gegen eine Entscheidung einzuwenden, die ihr überhaupt nicht gefiel.
    Sie verzog das Gesicht, und wenn da nicht diese Alix gewesen wäre, die ungefähr in ihrem Alter sein musste, hätte sie behauptet, sie sei müde, ihrer Tante gute Nacht gesagt und sich auf ihr Zimmer zurückgezogen.
    »Peter Van Brook ist ein anständiger Junge«, ließ Dame Le Guennec nicht locker. »Mein Bruder sagt, er ist außerdem ein ausgezeichneter Arbeiter. Allerdings ist er bis jetzt nur Geselle. Wenn er aber erst seinen Meister gemacht hat, kann er seine eigene Werkstatt eröffnen.«
    Alix fühlte sich wohlig entspannt. Im Kamin knisterte ein munteres Feuer, und die rote Glut warf schöne orangefarbene Schatten auf die drei Frauen. Florine hatte die Augen geschlossen und hörte ihrer Tante nicht mehr zu, die inzwischen das Thema gewechselt hatte. Und obwohl sie ihr eigentlich widersprechen wollte, sagte sie kaum hörbar: »Ich weiß einfach jetzt schon, dass mir dieser junge Mann nicht gefällt.« Alix hatte die geflüsterten Worte verstanden und lächelte ihr aufmunternd zu.
    Dame Le Guennec war jetzt mit ihrem Dessert fertig. Florine hatte so gut wie nichts gegessen, aber Alix hatte zur großen Freude der Witwe mit einem Riesenappetit alles verspeist, was man ihr vorgesetzt hatte.
    Sie nahm die beiden Teetassen, die das Dienstmädchen gebracht hatte, und beobachtete, wie sich der Kräuteraufguss mit dem goldenen Honig und dem karamellisierten Zucker vermischte. Dann reichte sie vorsichtig eine Tasse ihrer Nichte, die andere Alix.
    »Ich will wissen, wie er euch schmeckt. Das ist ein köstlich duftender Kräutertee aus Pflanzen, die beruhigend wirken und müde machen. Lasst ihn euch schmecken. Dann schlaft ihr bestimmt wunderbar.«
    Dann läutete sie wieder nach dem Dienstmädchen, das sich beeilte, die Reste des reichhaltigen und erlesenen Abendessens abzuräumen.
     
    Florines Muli Fougasse war zwar nicht so übermütig wie Amandine, dafür aber ausgeglichener und weniger starrköpfig. Die beiden Tiere waren sofort unzertrennlich. Ganz zufrieden trabten sie Seite an Seite vor sich hin und kümmerten sich nicht um die Witwe Le Guennec, die ihnen den Weg zum »Goldenen Ochsen« bahnte.
    Hier herrschte bereits das übliche Durcheinander wie vor jeder großen Reise: Geschäftige Kutscher, tänzelnde Pferde, die noch vor die Wagen gespannt werden mussten, Gespanne, die schon seit dem Vorabend darauf warteten, inspiziert, herausgeputzt und abfahrbereit gemacht zu werden, Kaufleute, die von Minute zu Minute ungeduldiger wurden, ein

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