Die Seidenstickerin
wir uns schon seit Jahren lieben!«
»Sie ist eine kleine Intrigantin. Die Gendarmerie soll sich um sie kümmern und …«
»Die Gendarmerie in Lille?«, mischte sich nun auch Dürer ein, der die Bilder durchsah um festzustellen, ob etwas fehlte.
»Warum nicht die von Arras?«, wollte Coëtivy wissen.
»Weil wir nur Zeit verlieren, wenn wir unnötigerweise umkehren, und sowieso einige Tage in Lille bleiben werden.«
»Ich flehe Euch an, Messire Dürer, glaubt mir doch bitte! Ich habe Eure Bilder nicht gestohlen. Dieser Mann«, sagte sie und deutete auf Coëtivy, »hasst mich schon immer und würde mich auch umbringen, nur um mich loszuwerden.«
»Aber warum sollte er Euch denn loswerden wollen?«
»Weil ich seinen Sohn liebe und er sich gegen die Ehe wehrt, die uns aber bereits verbindet.«
»Dann ist das ja eine Liebesgeschichte!«
»Nein, das ist die Geschichte von einem schmutzigen Diebstahl!«, zeterte Coëtivy.
Martin Cassex hatte endlich aufgehört, unruhig auf und ab zu laufen, und trat zu ihnen.
»Warum hätte sie die Bilder denn stehlen sollen?«
»Um sie zu kopieren natürlich.«
»Um sie zu kopieren!«, wiederholte Cassex erstaunt. »Wieso sollte sie sie denn kopieren?«
Pierre de Coëtivy hatte zu spät gemerkt, dass er sich versprochen hatte. Alix nutzte die Gelegenheit zu ihren Gunsten:
»Um sie zu verkaufen, wolltet Ihr eigentlich sagen! Aber jetzt habt Ihr Euch verplappert, Meister Coëtivy, und ich sehe, dass es Euch schon leidtut. Schon wiegt Eure Anschuldigung nicht mehr so schwer, hab ich Recht? Seht nur, Eure Begleiter scheinen nicht mehr so überzeugt zu sein, dass ich eine Diebin bin.«
»Also!«, wiederholte Martin Cassex. »Wieso hätte sie sie kopieren sollen?«
»Dieses Mädchen ist größenwahnsinnig, müsst Ihr wissen«, hob Coëtivy an. »Sie träumt davon, Weberin zu werden. Es geht ihr gar nicht um meinen Sohn, das ist nur ein Vorwand, eine gemeine Falle, in die sie uns alle gehen lassen will. In eine Liebesfalle? Nein! Eben nicht! In Wirklichkeit geht es ihr nur darum, eine eigene Werkstatt zu bekommen.«
»Das ist aber doch eine sehr ehrenhafte Absicht«, meinte der Maler.
Alix glaubte schon, sie hätte gewonnen. Sie war überzeugt, dass der Weber Martin Cassex und der Maler Dürer Coëtivys Worten keinen Glauben schenkten und dass es ihm bei dieser ungerechten Anschuldigung um eine persönliche Rache gehen musste.
Hätte der Gastwirt nicht so schnell gehandelt, wäre Alix vielleicht genug Zeit geblieben, um alles zu erklären. Jetzt aber kamen vier Gendarmen aus Lille auf sie zu und nahmen sie ohne weitere Fragen fest.
18
In ihrer trostlosen engen und kalten Zelle schmiedete Alix Rachepläne. Aber wer weiß, ob Jacquou nicht längst glaubte, sie hätte ihn vergessen, wenn sie endlich aus diesem Gefängnis freikommen würde?
Und wie sollte sie fliehen? Diesmal waren die schrecklichen Gendarmen ihre Gefängniswärter, die sie sicher hinter Schloss und Riegel verwahrten.
Florine kam sie so oft wie möglich besuchen und versuchte sie durch das Zellengitter hindurch mit ihrer Freundschaft aufzumuntern. Aber wie hätte sie ihr schon helfen können, die arme Kleine, die vor Trübsinn beinahe verging, weil sie einen Mann heiraten sollte, der ihr vom ersten Augenblick an zuwider war.
Zuwider, weil er nichts Einnehmendes hatte, viel zu eingebildet war, keinerlei Zartgefühl besaß und vor Hochmut fast platzte, weil er sich bereits als Meister in der Werkstatt seines Onkels sah und glaubte, er hätte auch das Herz dieses viel zu schönen jungen Mädchens erobert, das ihm da sozusagen in den Schoß gefallen war.
Florine hasste diesen jungen Kerl, was sie dann auch ihrer lieben Alix anvertraute, die ihr trotz des eigenen Kummers aufmerksam zuhörte und immer wieder versicherte, Florine dürfe sich dieser Verbindung widersetzen, so wie sie das Recht beansprucht hatte, Jacquou zu lieben.
Manchmal überkam Alix allerdings so eine große Traurigkeit, dass ihr die Tränen in den Augen standen, wenn sie ihrer Freundin gut zureden wollte.
»Dieser Mann ist ein Dummkopf! Aber dein Onkel auch, wenn er dich mit einem Mann verheiraten will, den du nicht liebst.«
Und dann nickte die brave Florine nur, und Alix wusste genau, dass sie sich irgendwann doch dem Willen ihres Onkels fügen würde – was sie nicht recht verstand. Wahrscheinlich lobte der den jungen Mann über den grünen Klee, bis er seine Nichte schließlich irgendwie von dessen Vorzügen überzeugt
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