Die Seidenstickerin
ihre Wahl getroffen hatte.
Etwas später erfuhren die beiden Freundinnen, dass Mathias als Waisenjunge in ein Kloster in der Nähe von Brüssel gekommen und von dort eines Tages mit seinem Bündel auf dem Rücken geflüchtet war, weil er genug hatte vom Beten, den Mönchen und den vielen Zwängen. Seitdem hatte er verschiedene Berufe ausprobiert und in jedem zumindest die Grundkenntnisse erworben.
Mathias und Alix wurden gute Freunde, weil sie das gleiche Schicksal verband: Sie befürchtete allerdings, er könnte sich doch in sie verlieben; deshalb wollte sie Florine darin unterstützen, ihn zu erobern.
Zu ihrer großen Überraschung stellten die Freundinnen fest, dass der junge Mann auch noch sehr klug und gewitzt war. Als er ihnen am Abend die Börse mit den wenigen Hellern zeigte, die er in seinem Bündel aufbewahrte, und die andere, die er am Körper trug, fielen die beiden aus allen Wolken. Damit hatte ihnen Mathias gezeigt, wie umsichtig und intelligent er war.
»Ich habe fast alles Geld gespart, das ich bisher verdient habe. Ich würde Euch also nicht zur Last fallen, wenn ich Euch begleite. Ist Euch das recht?«
Dabei sah er vor allem Alix an, weil er wusste, dass sie das Sagen hatte und sie ihm ganz besonders gut gefiel.
»Mehr als recht, Mathias«, sagte Alix und wollte einem gefährlichen Missverständnis vorbeugen. »Wenn ich meinen Mann Jacquou wiedergefunden habe und wir im Val de Loire unsere eigene Werkstatt aufmachen, sollt Ihr und Florine bei uns arbeiten.«
So hatte Alix einfach für sich beschlossen, dass Florine und Mathias bei ihr bleiben sollten.
Die Tage vergingen im Rhythmus von Amandines und Fougasses gemächlichem Trab, und Mathias schien sich allmählich von seiner Enttäuschung zu erholen, dass Alix verheiratet war.
»Eigentlich könnten wir uns ein Pferd und eine kleine Kutsche kaufen«, meinte Mathias eines Tages, als es nicht mehr weit bis Enghien war und Alix immer ungeduldiger wurde.
»Doch nicht jetzt, wo wir gleich am Ziel unserer Reise sind, Mathias«, entgegnete sie, und ihre Augen strahlten hoffnungsfroh.
Sie war so voller Vorfreude, dass sie beinahe nicht bemerkt hätte, dass Florine und Mathias seit zwei Tagen Hand in Hand gingen. Offenbar hatte der junge Mann endlich eingesehen, dass Alix nun einmal nicht für ihn bestimmt war.
»Ihr müsst schließlich auch wieder nach Hause«, meinte Mathias. »Ihr habt doch gesagt, dass Ihr Euch im Val de Loire niederlassen wollt.«
»Stimmt, da habt Ihr Recht.«
»Dann lasst mich nur machen. Aber wir kaufen jetzt bestimmt keine Pferde, das käme viel zu teuer.«
»Und selbst wenn nicht«, sagte Florine, »ich will mich auf keinen Fall von meiner Fougasse trennen; und ich bin sicher, dass Alix Amandine auch behalten will. Die beiden sind unsere treuen, braven Gefährtinnen. Sie gehören zu uns, und wir werden sie nie verkaufen.«
Je näher Enghien kam, umso entrückter wirkte Alix; den Blick in die Ferne gerichtet, schien sie darauf zu warten, dass Jacquou wie eine plötzliche Erscheinung vor ihr auftauchte.
»Bevor wir an die Heimkehr denken können, müssen wir etwas anderes erledigen, was viel dringender ist. Ich habe einen Auftrag für Euch, Mathias, der allerdings sehr heikel ist. Wollt Ihr ihn für mich übernehmen?«
»Wie könnt Ihr nur fragen, Alix? Ihr habt das Recht, über mich zu bestimmen.«
»Ich habe gar kein Recht, und schon gar nicht das, Euch etwas zu befehlen, Mathias.«
»Sagt einfach, was Ihr wollt, und ich gehorche. Was soll ich tun?«
Florine konnte sich denken, worum Alix Mathias bitten wollte. Sie als Frau hätte ihr wohl kaum helfen können, noch dazu verstand sie nichts von Tapisserie und Wandbehängen. Ja, Mathias würde das bestimmt schaffen, ohne dass Meister Coëtivy auf ihn aufmerksam wurde – falls er überhaupt in Enghien war.
»Ihr müsst alle Werkstätten in Enghien aufsuchen und dabei sehr vorsichtig sein, weil es sein könnte, dass sich mein ärgster Feind dort aufhält. Ihr sollt überall nach dem Vorarbeiter oder dem Webermeister fragen. Jacquou ist weder das eine noch das andere – es kann also keine Verwechslung geben. Dann sollt Ihr sagen, dass Ihr Arbeit sucht. In einer Werkstatt gibt es immer nur einen Gesellen. Ihr werdet also sehr schnell erfahren, ob es schon einen gibt. Dann müsst Ihr die Augen offen halten, weil es vielleicht Jacquou ist.«
Mathias versprach, den Auftrag so gut er konnte zu erledigen, auch wenn er es insgeheim noch immer bedauerte, dass er nicht
Weitere Kostenlose Bücher