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Die Seidenstickerin

Die Seidenstickerin

Titel: Die Seidenstickerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jocelyne Godard
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knotete es auf, und ein unglaubliches Durcheinander kam zum Vorschein: Ein Knüppel, ein Kanten trockenes Brot, ein Stück geräucherter Speck, eine Börse, in der höchstens ein oder zwei Heller stecken konnten, ein kleines Heft, das nach einem Tagebuch aussah, eine Wasserflasche und ein Hut, den er sich gleich auf sein dichtes, lockiges Haar setzte. Und dann war da noch das Messer, nach dem er eigentlich gesucht hatte.
    Die beiden Frauen erkannten schnell, dass er sie nicht angelogen hatte, weil er den Dorn in kürzester Zeit aus dem Huf von Fougasse entfernt hatte.
    »Und sie hat sich nicht einmal beklagt«, meinte Florine erleichtert und lächelte ihn an. »Ihr seid ja ein wahrer Zauberkünstler. Wie heißt Ihr eigentlich?«
    »Mathias.«
    »Also dann – vielen Dank, Mathias! Wo wolltet Ihr denn hin, als wir Euch aufgeschreckt haben? Und warum habt Ihr Euch versteckt?«
    »Ich bin Euch schon seit Tournai heimlich gefolgt, weil ich wusste, dass Ihr mich früher oder später brauchen würdet. Das habe ich Fougasse längst angesehen.«
    »Mir ist nicht aufgefallen, dass sie gelahmt hat.«
    »Mir schon.«
    Wieder sahen sie sich an, und diesmal blieb Mathias’ Blick an Alix hängen. Was für schöne Augen dieses Mädchen hatte! Mathias konnte sich gar nicht mehr losreißen, und Alix musste ihn noch ein wenig ausfragen, damit er auf den Boden der Tatsachen zurückkam. Dann lächelte er wieder Florine an. Man muss schon sagen, dass ihm diese beiden Mädchen vollkommen den Kopf verdreht hatten.
    »Aber wohin wolltet Ihr denn eigentlich, Mathias?«, fragte Alix.
    »Ach, eine neue Arbeit suchen.«
    »Sucht Ihr nichts Bestimmtes?«
    »Nein, da will ich mich nicht festlegen. Ich kann fast alles.«
    An seiner Stimme konnten die beiden Mädchen aber erkennen, dass er wohl doch eine eher unangenehme Geschichte hinter sich hatte.
    »Wer oder was hat Euch denn dazu gebracht, bei dem Hufschmied aufzuhören?«
    »Seine Frau.«
    »Warum denn das?«, wollte Florine wissen.
    »Sie ist meinem Charme erlegen, wie sie sagte, und hat mich nicht mehr in Ruhe gelassen. Und dem armen Hufschmied, einem anhänglichen Mann, der die ständigen Treulosigkeiten seiner Frau ertragen muss, blieb gar nichts anderes übrig, als mich wegzuschicken. Es hat ihm selbst leidgetan, weil er fand, dass ich ein anständiger Junge und ein zuverlässiger Arbeiter bin; deshalb hat er mich dann zum Abschied auch gut bezahlt.«
    Florine wirkte überrascht, und sah ihn sich noch einmal genauer an. Er hatte ein sehr ansehnliches Gesicht, war gut gewachsen und äußerst aufgeweckt.
    »Wenn Ihr wollt, begleite ich Euch nach Enghien. Mit einem Mann an der Seite ist Eure Reise weniger gefährlich.«
    »Das ist wahr, aber ich möchte Euch doch erst noch ein paar Fragen stellen«, sagte Alix mit fordernder Stimme. »Ist Euch das recht?«
    »Ich beantworte jede Frage.«
    »Was habt Ihr gemacht, ehe Ihr bei dem Hufschmied wart?«
    »Ich habe bei einem Zwirnmacher in Lille gearbeitet.«
    »Und habt Ihr das gern gemacht?«, säuselte Florine und blinzelte ihn mit ihren blauen Augen an.
    »Nicht besonders. Mir sind die Teppichweber von Brügge lieber.«
    »Habt Ihr denn schon einmal bei einem Teppichweber gearbeitet?«, fragte Alix, die sich für dieses Thema natürlich sehr interessierte.
    »Ja, in Brüssel, aber nicht besonders lang. Das hat mir am besten gefallen.«
    Und weil nun keine der beiden etwas sagte, fuhr er vergnügt fort:
    »Außerdem war ich auch schon Kutscher. Ich kann nämlich gut mit Pferden umgehen. Und ich habe bei einem Bäcker gearbeitet; ich weiß also, wie man Brot bäckt. Wenn es sein muss, kann ich auch sämtliche Arbeiten in der Landwirtschaft erledigen – mit mir verhungert man nicht so schnell. Ich kann säen, mähen, dreschen und ernten. Aber wenn ich ganz ehrlich bin, liegt mir die Feldarbeit nicht besonders.«
    »Welchen Beruf wollt Ihr denn dann einmal langfristig ausüben, Mathias?«
    »Ich möchte an einem Hochwebstuhl arbeiten.«
    »Hast du das gehört, Florine?«, rief Alix. »Genau wie ich!«
    »Und ich!«, erklärte Florine. »Ich will jetzt auch eine Teppichweberin werden.«
    Und der arme junge Mann war völlig hin und her gerissen zwischen diesen beiden bezaubernden Mädchen.
    Auf einmal sah die Zukunft für die junge Florine ganz anders aus. Sie gewann diesen Mann immer lieber und merkte nicht einmal, dass der sich genauso für Alix interessierte wie für sie, wohl weil sie sich endlich gegen Peter Van Brook entschieden und jetzt

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