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Die Seidenstickerin

Die Seidenstickerin

Titel: Die Seidenstickerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jocelyne Godard
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der die beiden fragend ansah.
    »Ich ziehe meine Klage zurück. Sie soll auf der Stelle freigelassen werden.«

19
     
    Amandine und Fougasse hatten sich wieder auf den Weg gemacht. Auch im Norden war es endlich Frühling geworden, und die Sonne lachte von einem durchsichtig blauen Himmel auf das flache Land herunter.
    Florine hatte doch gegen ihren uneinsichtigen Onkel aufbegehrt, der sie um jeden Preis mit dem Mann seiner Wahl verheiraten wollte. Und Alix konnte sie schließlich überzeugen, dass diese ganze Ungewissheit und ihre Zweifel zu nichts führten.
    Sie hatte ihrem Onkel einen kleinen Brief geschrieben und ihm erklärt, dass sie Peter Van Brook niemals heiraten und lieber weggehen, als sich dazu zwingen lassen würde. Dann war sie gemeinsam mit Fougasse und Amandine aufgebrochen, um ihre Freundin am Morgen nach ihrer Freilassung abzuholen.
    Alix wartete in der Nähe der Porte Saint-Maurice auf sie. Endlich waren die beiden frei! Die eine kurz davor, ihren Jacquou wiederzusehen, weil es nicht mehr weit war nach Enghien; die andere, sich selbst den Mann fürs Leben auszusuchen.
    Und dazu sollte sie schon bald Gelegenheit bekommen, denn kaum hatten sie Tournai verlassen und sich auf den Weg Richtung Enghien gemacht, als Fougasse erst anfing zu lahmen und dann gar nicht mehr laufen konnte, weil sie sich wohl einen Dorn eingetreten hatte.
    »Was sollen wir nur machen, wenn Fougasse nicht mehr weiterkann?«, fragte Alix, während sie den Huf des Mulis untersuchte.
    »Bis Enghien ist es noch viel zu weit, als dass wir den Weg mit einem lahmen Maultier schaffen könnten. Wir müssen umkehren und in Tournai nach einem Hufschmied fragen.«
    Jetzt untersuchte auch Florine den Huf von Fougasse und stellte fest, dass ein Dorn im Horn steckte, der dem Tier sehr wehtun musste.
    »Wenn ich mich recht erinnere, habe ich am Ortseingang von Tournai das Schild eines Hufschmieds gesehen. Aber dann müssten wir noch einmal durch die ganze Stadt zurück.«
    Da sahen die beiden Mädchen plötzlich einen zerzausten jungen Mann auf sie zukommen. Er war aus einem Dornengestrüpp aufgetaucht, das die beiden vor lauter Sorge um ihr Tier gar nicht bemerkt hatten – dabei hätte es ihnen schon auffallen müssen, weil es an dieser Straße Richtung Norden, wo alles flach war, wirklich äußerst wenig Gebüsch, Sträucher, Bäume oder Wald gab. Er schien zu Fuß unterwegs zu sein, weil er an einem Stock ein Bündel trug.
    »Guten Tag, die Damen, mir scheint, Ihr seid in Schwierigkeiten. Kann ich vielleicht irgendwie helfen?«, sagte er lächelnd und kam näher.
    »Aber wer seid Ihr denn? Und wo kommt Ihr so plötzlich her?«, fragten sie erstaunt.
    »Von da unten«, lachte der junge Mann und deutete auf das Gestrüpp, das am Straßenrand wuchs. Man konnte es leicht übersehen, weil das große Feld dahinter die Blicke anzog. Dort war gerade die Saat ausgebracht worden, und am Ende des nahen Sommers wuchs hier bestimmt schönes, goldenes Getreide.
    Die beiden Frauen sahen sich den jungen Mann erstmal genauer an. Er machte einen freundlichen Eindruck, seine Kleidung war ordentlich, wenn auch ein bisschen abgetragen, und sein fröhliches Wesen überzeugte sie erst recht. Sie waren sich schnell einig, dass man ihm trauen konnte.
    »Das ist Euer Muli, hab ich Recht?«, fragte er, und Florine sah ihn mit ihren blauen Augen an und nickte.
    »Deswegen müsst Ihr nicht nach Tournai zurück, meine Damen. Ich habe zuletzt als Hufschmied gearbeitet, zwar nicht besonders lange, aber jedenfalls lange genug, um zu wissen, wie man einen Dorn aus dem Huf von Pferden oder Eseln bekommt.«
    Fougasse sah ihre Herrin traurig an und streckte ihr ihren verletzten Fuß entgegen.
    »Meine arme kleine Fougasse«, sagte Florine und streichelte ihr den Kopf zwischen den Ohren, die das Muli vor lauter Angst hängen ließ.
    Florine sah den jungen Mann noch einmal an. Seine Augen hatten eine seltsame Farbe, die je nach Stimmung blau oder grau war und jetzt fast golden wirkte, als er Florines Blick erwiderte. Alix hatte er allerdings ebenfalls sehr ausgiebig gemustert.
    »Der Huf muss ihr sehr wehtun«, meinte Florine und wurde rot, weil er sie noch immer anstrahlte. »Fougasse lässt sonst nie die Ohren hängen, außer sie erschrickt vor irgendwelchen fremden Geräuschen. Aber hier ist es ja gerade vollkommen ruhig, nicht einmal die Vögel singen.«
    Er ging zu dem Muli und nahm den Fuß, den ihm Florine hingehalten hatte. Dann legte er sein Bündel auf den Boden und

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