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Die Seidenstickerin

Die Seidenstickerin

Titel: Die Seidenstickerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jocelyne Godard
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eine Weile, bis im Zuschauerraum wieder Ruhe einkehrte, weil alle durcheinanderriefen, gestikulierten und mit den Füßen scharrten.
    »Ruhe!«, rief der Richter und klopfte mit seinem Hammer auf den Tisch. »Der nächste Zeuge soll vortreten.«
    Ein langer Kerl um die fünfzig näherte sich der Gerichtsschranke. Jeanne kannte ihn schon lange. Und sie mochte diesen natürlichen großen Jungen gern, der mit seiner Frau und den vielen Kindern friedlich im Schloss lebte.
    Der Mann mit den hellblauen Augen und dem grauen Haarschopf stellte sich als Torwächter vom Schloss vor. Dann leistete er den Schwur und wartete ab.
    »Hattet Ihr Wache, als Jeanne de Valois nach ihrer Heirat in Linières eingetroffen ist?«, wollte der Vertreter der Anklage wissen.
    »Ja, Exzellenz. Ich hab Wachdienst gehabt.«
    »Habt Ihr sie durchs Tor kommen sehen?«
    »Ja, Eure Exzellenz.«
    »War sie allein?«
    »Nein, Exzellenz, der Herzog ist hinter ihrem Wagen geritten.«
    »Hat er das Schloss betreten?«
    »Aber ja, Exzellenz!«
    Jetzt musste er lachen.
    »Allerdings hat er wirklich nur das Schloss betreten.«
    »Was soll das heißen?«, wetterte der Richter.
    »Na ja, er ist gleich ins Schlafzimmer und erst morgens wieder rausgekommen.«
    Berthoulas richtete sich auf.
    »Glaubt Ihr etwa, dass er auch nicht weiß, was eine ganze Nacht ist?«, fragte er den Vertreter der Anklage.
    »Oh doch, Exzellenz«, warf der große Kerl ein, »obwohl mein Jüngster der Letzte war, der gesehen hat, wie der Herzog früh am Morgen aus dem Zimmer gekommen ist.«
    »Aha! Da haben wir es ja, guter Mann!«, brüllte der Ankläger, um den Zeugen einzuschüchtern, »Ihr behauptet etwas, was Ihr gar nicht wissen könnt, und das wäre dann eine Falschaussage, dass Jeanne de Valois an diesem Abend Verkehr mit ihrem Gatten gehabt hat, oder? Dafür kommt Ihr ins Gefängnis.«
    »Einspruch!«, rief Berthoulas, »diese Frage muss der betroffenen Person gestellt werden. Dieser Mann hat nur gesagt, was er gesehen und gehört hat. Deshalb darf nicht bezweifelt werden, dass er nach bestem Wissen und Gewissen ausgesagt hat.«
    Also kam Jeanne wieder an die Schranke. Der Ankläger war wütend, weil er die Zeugen nicht hatte verunsichern können, lächelte verzerrt, trat hinter Jeanne und ließ seinen grausamen Blick über den Buckel auf ihrem Rücken schweifen.
    »Hattet Ihr an diesem Abend Verkehr mit Eurem Gatten?«, spottete er hinter ihrem Rücken.
    »Ja!«, antwortete Jeanne.
    Der Ankläger trat wieder vor sie.
    »Aber was ist denn mit Euren Gebrechen?«
    »Meine Gebrechen, wie Ihr sie nennt, haben mich nie daran gehindert, das Leben einer normalen Frau zu führen – weder was meine Einstellung zum Weltgeschehen betrifft, noch die Verwaltung der Geschäfte meines Mannes, die ich beharrlich betrieben habe, als er im Gefängnis war, noch die eheliche Beziehung, die ich mit ihm hatte.«
    Sie erwiderte seinen Blick.
    »Muss ich noch deutlicher werden, Staatsanwalt?«
    »Und warum seid Ihr dann nicht Mutter geworden?«
    »Eure Frage entbehrt jeder Grundlage«, entgegnete Jeanne verächtlich, was nun zur Abwechslung dem Ankläger die Röte ins Gesicht trieb. »Wie stellt Ihr Euch denn eine unfruchtbare Frau vor? Glaubt Ihr vielleicht, sie sei in so schlechter körperlicher Verfassung, dass sie keinen Geschlechtsverkehr mit ihrem Mann haben kann?«
    Alle schwiegen unter dem Eindruck dieser Fragen, die vermutlich unbeantwortet bleiben würden. Dann fuhr Jeanne fort:
    »Verurteilt dieses Gericht etwa meine Unfruchtbarkeit? Wenn das der Fall sein sollte, müsste es aber auch alle anderen Frauen verurteilen, die nicht Mutter werden konnten. Ich fürchte, Herr Ankläger, dass Ihr längst gestorben und unter der Erde seid, ehe Ihr alle zählen konntet, denen es versagt war, ein Kind zu bekommen.«
    Zustimmendes Raunen ging durch den Saal. Die Leute fingen an, das Gericht zu verhöhnen und Jeanne Beifall zu spenden, was ihr Gelegenheit bot, selbst mit ihrer Verteidigung fortzufahren. Berthoulas, dem die Entwicklung anscheinend über den Kopf gewachsen war, sagte nämlich nichts mehr.
    »Jeder hier in diesem Saal soll wissen, dass ich – obwohl ich kein Kind bekommen konnte – dennoch sehr wohl körperlich in der Lage war und bin, mich mit einem Mann fleischlich zu vereinigen«, sagte Jeanne laut und deutlich.
    Dabei wandte sie sich an die Geschworenen und streckte ihnen ihre Arme flehentlich entgegen.
    »Meine Ehe wurde sehr wohl vollzogen.«
    »Das behauptet Ihr, aber wir haben

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