Die Seidenstickerin
schien von der Hinrichtung auch nicht wesentlich mehr mitgenommen als ihr Kind. Der Gräfin zerriss es fast das Herz. Sollte ihr Leben als liebende Frau wirklich an diesem traurigen Abend und mit dieser trostlosen Vision zu Ende gehen?
Morgen früh gab es für sie keinen Jean mehr. Ein neues Leben begann dann mit all seinen Unwägbarkeiten, das aber gewiss ihren kleinen Cäsar auf den Thron heben würde.
Vor ihrem inneren Auge tauchten flüchtige Bilder auf, die ihr schon lange Angst einjagten.
24
Die rauchgeschwängerte Luft in dem Gasthaus war zum Schneiden. Bei dem Lärm von lauten Stimmen, klappernden Suppenschüsseln und Zinnkrügen und klirrenden Kesselhaken konnte man sich unmöglich normal unterhalten. In der »Goldenen Henne«, einem Gasthaus für feine Herren und vornehme Damen, betuchte Kaufleute, Priester und dickbäuchige Bischöfe, wurde es eigentlich nur kurz vor Morgengrauen ein paar Stunden still.
Die Ankunft der Gräfin mit ihrem kleinen Gefolge hatte zwar einiges Aufsehen erregt, aber der Wirt war an hohen Besuch gewöhnt und setzte Louise, ihre Gesellschaftsdamen und Saint-Gelais einfach an den großen Tisch in der Mitte des Speisezimmers. In dem Gasthaus ging es hoch her, und zu dieser späten Stunde blieb ihm gar keine andere Möglichkeit, weil es an freien Plätzen mangelte. Wenn es nicht gerade der König persönlich war, ließ sich Meister Pierre auch nicht so schnell aus der Ruhe bringen.
Also aß die Gräfin samt ihrem Gefolge in dem allgemeinen Durcheinander zu Abend. Ihre Dienstboten hatte man, mit Ausnahme von Dame Andrée und Catherine, zum Essen in die Küche geschickt. Sie verbrachten die Nacht auf frischem Stroh in einer Kammer bei den Ställen und Schuppen, in denen Werkzeug und Karren untergebracht waren.
François und die Mädchen schliefen bereits, als Louise und ihre kleine Gesellschaft mit großem Vergnügen eine Poularde mit Bohnen und Speckerbsen verspeisten. Das Spektakel der Hinrichtung hatte ihnen offenbar nicht den Appetit verdorben. Das war auch gut so, weil das Doppelverbrechen, das der Priester ganz in der Nähe der Herberge »Zur Goldenen Henne« begangen hatte, von den Gästen noch heftig diskutiert wurde.
In der Küche garten fette Hühner über dem Feuer und dufteten verlockend. Man muss schon sagen, dass die Hühnersuppe dem Gasthaus und seinem Namen alle Ehre machte; Meister Pierre hielt das Rezept dafür übrigens streng geheim.
Auf den langen gewachsten Holztischen servierten die Mägde Pastete mit Kräutern, rohen Schinken und Rotwein.
Antoinette kostete von allem, aß aber nur wenig. Jeanne dagegen kümmerte sich nicht mehr um ihr Gewicht und verdrückte große Mengen von jedem Gericht, ohne dass sie dabei den gut gekühlten Wein verschmäht hätte, der in Steinkrügen auf den Tisch kam.
Die drei Kinder hatten sich den Bauch mit Schinken, Rührei und Apfelkuchen mit Honig vollgeschlagen und waren dann, wie nach so einem anstrengenden Reisetag nicht anders zu erwarten, sofort tief und fest eingeschlafen.
In dem Zimmer, in dem sie untergebracht waren und das vermutlich eines der größten im Haus war, stand noch ein zweites Bett mit kurzen geblümten Bettvorhängen. Man hatte beschlossen, dass sich diesmal Antoinette und Jeanne das Zimmer mit den Kindern teilten, damit Louise ihre letzte Nacht mit Jean ungestört verbringen konnte.
Noch hatte diese Nacht aber nicht begonnen, und Louise und Jean sagten nichts. Offenbar brachten sie vor lauter Anspannung kein Wort heraus. Jean aß schweigend, und Louise überließ die Unterhaltung ihren Zofen und hörte nur flüchtig hin.
»Diese Apfelkuchen mit Honig schauen köstlich aus«, meinte Jeanne und sah hinter der jungen Dienstmagd her, die sich eifrig bemühte, alle Gäste zufriedenzustellen.
»Ihr seid ja noch immer die gleiche Naschkatze, Jeanne!«, sagte Antoinette vorwurfsvoll, während sie an der Gräfin vorbeisah, die ihr gegenüber saß. »Solltet Ihr nicht lieber die Stare vom Grill nehmen?«
»Ich bitte Euch, Antoinette! Ich bin doch keine Bäuerin!«
»Meister Pierre soll sie aber sehr gut zubereiten.«
»Aber längst nicht so gut wie das Reiherfrikassee«, tönte Meister Pierre hinter dem Rücken von Louise. »Das ist unser bestes Gericht, das nur noch von der Hühnersuppe übertroffen wird.«
»Gut, Meister Pierre, beim nächsten Mal nehmen wir Euren Reiher.«
Louise fiel auf, dass Antoinette hartnäckig an ihr vorbeisah. Aber ihr Blick war anscheinend nicht auf den dicken Gastwirt
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