Die Seidenstickerin
Hause. So hätte es jedenfalls mein Mann, Graf d’Angoulême, gewollt, und ich will es auch nicht anders.«
Louise streckte ein Bein aus und schob es unter die Bank gegenüber, auf der ihre beiden Zofen saßen.
»Habe ich Euch nicht schon tausend Mal gesagt, dass Ihr Euch wegen Eurer Töchter keine Sorgen machen müsst? Jehanne genießt am Hofe die ungeteilte Aufmerksamkeit von Königin Anne, und Madeleine die der Nonnen im Kloster von Saintes. Und was Souveraine anbelangt, werden wir schon sehen. Warum sollte sie es schlechter haben als ihre beiden Schwestern?«
Die Wagen rollten auf einer bequemen Straße durch eine sonnige Landschaft. Obwohl es schon spät war, wollte sich der Tag scheinbar noch nicht verabschieden. Pferde und Gespanne näherten sich Poitiers. Von fern sah man schon die Silhouette der Stadt und konnte sie auch hören. Es klang fast so, als wären Stimmengewirr und andere fremde Laute plötzlich noch lauter als erwartet.
»Dieses Poitiers scheint mir eine ziemlich lärmende Stadt zu sein«, meinte Jeanne, als sie aus dem kleinen Wagenfenster sah.
»Von unserem stillen alten Städtchen Cognac sind wir solches Treiben gar nicht mehr gewöhnt. Jetzt müssen wir wohl aber lernen, mit dem Lärm zu leben.«
»Gar so langweilig war es doch in Cognac auch wieder nicht. Ich glaube, Ihr habt den Trubel, der an den Markttagen herrschte, schon ganz vergessen. Und den Krach, den die Seiler machten, wenn sie ihre Hanfseile in der Nähe vom Stadtgraben drehten, wohl auch«, spöttelte Louise.
Der Lärm und das Getöse wurden jedenfalls immer schlimmer. Schreie, Pfiffe, lautes Rumoren und Gerassel drangen bis zu ihnen durch.
»Was ist denn hier los?«, fragte Jeanne, die das Wagenfenster geöffnet hatte und Saint-Gelais antraben sah.
»Auf dem Marktplatz findet eine Hinrichtung statt. Wir stecken hier fest und kommen nicht weiter.«
»Da werden wir uns aber beträchtlich verspäten«, schimpfte Jeanne, »eigentlich müssten wir schon längst beim Abendessen sein.«
Louise wollte aussteigen. Graziös hob sie ihren Rock, damit sie nicht stolperte, und reichte Saint-Gelais, der vom Pferd gesprungen war, die Hand.
»Wenn wir hier tatsächlich festsitzen, können wir ebenso gut zuschauen. Dann haben wir wenigstens Unterhaltung.«
Leichtfüßig stieg sie aus der Kutsche und schützte sich mit der Hand vor der untergehenden Sonne, die sie mit ihren letzten Strahlen blendete.
»Sieht ganz danach aus, als ob da einer gehängt wird!«, rief Bonaventure, Louises dickbäuchiger Kutscher.
»Kommen wir denn wirklich nicht durch?«
»Nein, leider nicht. Seht selbst, die Gendarmen und die Soldaten haben alles abgeriegelt.«
Die Gräfin d’Angoulême wandte sich wieder an Saint-Gelais.
»Wenn wir sowieso nicht weiterkönnen, sollten wir uns die Hinrichtung ansehen«, schlug sie vor.
»Ja, ich will da auch hin«, rief François und rannte zu seiner Mutter.
»Und ich auch!«, keuchte Souveraine ganz atemlos, weil sie hinter François hergelaufen war.
»So ein Spektakel eignet sich aber nicht für kleine Mädchen«, erklärte Jeanne und sah ihre Tochter missbilligend an.
Das Kind machte ein enttäuschtes Gesicht, sagte aber nichts.
»Ich finde, unsere Kinder müssen lernen, was Leben heißt, Jeanne«, wandte Louise ein. »Der Mann, der da gehängt wird, hat bestimmt ein schweres Verbrechen begangen, und heute muss er dafür bezahlen. Auch wenn Souveraine noch sehr jung ist, kann sie doch sicher zwischen gut und böse unterscheiden.«
Angesichts der unverhofften Unterstützung versuchte Souveraine es noch einmal.
»Bitte, Mutter, wenn Monsieur de Saint-Gelais und Madame d’Angoulême dabei sind, habe ich vor nichts Angst.«
»Du weißt recht gut, dass du von solchen Erlebnissen nur wieder Alpträume bekommst, die mir den Schlaf rauben.«
»Aber ich hatte doch schon ganz lange keine Alpträume mehr, Mutter. Ich glaube, Ihr vergesst immer, dass ich älter geworden und kein kleines Kind mehr bin.«
Souveraine versuchte sich so groß wie möglich zu machen. Dann sah sie ihre Mutter an und sagte zuversichtlich.
»Nehmt ruhig mal einen Spiegel und seht Eure Augen an. Ihr seht überhaupt nicht übernächtigt aus!«
Über dieses Argument musste Louise lächeln. Sie kannte Jeanne gut genug um zu wissen, dass sie peinlich darauf achtete, genug Schlaf zu bekommen, damit sie morgens nicht etwa mitgenommen aussah.
»Ich finde auch, dass Euer Sohn François erleben sollte, was Recht und Gerechtigkeit bedeutet.
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