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Die Seidenstickerin

Die Seidenstickerin

Titel: Die Seidenstickerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jocelyne Godard
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und anschließend getötet hat.«
    »Das ist dann ja ein Fall für das Kirchenrecht. Die Sache muss vor der Diözese verhandelt worden sein.«
    Die Menschenmenge wurde immer unruhiger, immer wieder ertönten Schreie. Gendarmen und berittene Wachen erteilten Befehle, die aber in dem lärmenden Durcheinander untergingen. Das Spektakel musste endlich anfangen, damit die Menge sich beruhigte.
    Da endlich erschienen die Beteiligten. Etwa zwanzig Reiter führten den Zug an und ließen ihre Pferde ganz langsam Schritt gehen. Auf die Pferde folgte ein Trupp Fußsoldaten, die laut und schnell trommelten.
    Dem Verurteilten waren die Hände auf dem Rücken gefesselt. Auch seine Füße waren zusammengebunden, weshalb er nur ganz kleine, schlurfende Schritte machen konnte.
    Rechts und links neben ihm gingen der bullige Henker und ein gebeugter schmächtiger Priester, der das große Sühnekreuz schwenkte. Der Verbrecher hielt den Kopf gesenkt und hatte die Schultern eingezogen.
    Vor diesem düsteren Trio, das sich nur langsam und schleppend vorwärtsbewegte, ritt auf einem Pferd mit schwarzem Lederharnisch und einer goldgesäumten Decke aus rotem Samt der Bischof von Poitiers. Und es wirkte fast so, als würde das Publikum diese grausige Szene voller schroffer Gegensätze gierig in sich aufsaugen.
    Der Verurteilte ging schwankend, ohne Anstand und Würde. Er hatte ein langes Hemd an, unter dem seine nackten Füße hervorschauten. Das Hemd war weit ausgeschnitten, und man konnte seine hängenden Schultern sehen. Sein Kopf war kahl geschoren, und die Finger hingen wie leblos an seinen gefesselten Händen. Seiner gebeugten Haltung war anzusehen, dass er wohl längst aufgegeben hatte.
    Der Bischof von Poitiers war genauso prächtig gekleidet wie sein Pferd; er trug ein kostbar besticktes Gewand aus weißem Atlas. Unter dem Schutz seiner Leibwache musterte er herablassend die Menschenmenge, die das bevorstehende Spektakel gierig erwartete. Ganz kurz schweifte sein Blick über die Empore, auf der Louise stand. Vermutlich hatte man ihn von der Anwesenheit der Gräfin d’Angoulême unterrichtet, weil er eine kleine Verbeugung in ihre Richtung andeutete. Dann richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf die Menge.
    »Diese Franziskaner werden immer gewissenloser«, seufzte Louise, während ihr Blick den Verurteilten streifte, der sich abmühte, mit diesem fürchterlichen Zug Schritt zu halten. »Die Kirche ist wirklich kein Vorbild mehr an Moral und Integrität.«
    François stand die Bewunderung für den eindrucksvollen Bischof und sein kostbares Prunkgewand ins Gesicht geschrieben. Ihn faszinierte am meisten, wie majestätisch dieser Bischof die Menschenmenge grüßte; und Louise stellte mehr als erleichtert fest, dass sich ihr Sohn überhaupt nicht für den trostlosen Anlass dieses farbenprächtigen Gemäldes interessierte. Die öffentliche Hinrichtung, die das Kind zum ersten Mal miterlebte, nahm es gar nicht richtig wahr, weil es ganz und gar von dem großartigen Spektakel beansprucht war.
    Als der Bischof an dem staunenden Jungen vorbeigezogen war, schien diesem endlich der ganze Umfang der Szene bewusst zu werden, nämlich der trostlose Anblick des Verurteilten, der in Todesangst war.
    Während seine Schwester bereits ihren Kopf gesenkt hielt, konnte er den Blick nicht von dem Angeklagten lassen, der schon verloren hatte, als man ihm die Schlinge um den Hals legte. François zuckte nur kurz zusammen, als mit einer schnellen Bewegung der Schemel weggestoßen wurde, auf dem der Verurteilte stand.
    Beinahe zerstreut betrachtete Louise den leblosen Körper, der Sekunden später bedrohlich am Galgen baumelte, während die Leute das Geschehen jetzt wieder laut kommentierten.
    Marguerite hielt noch immer die Hand ihrer Mutter, die sie jetzt noch stärker drückte, und Louise erwiderte diesen Druck so fest sie konnte.
    Das Beifallsgeschrei wollte nicht aufhören. Nach einer öffentlichen Hinrichtung durch Erhängen pflegte man den Leichnam bis zum nächsten Morgen hängen zu lassen, damit jeder genug Zeit hatte zu sehen, welch schreckliche Folgen solch ein gemeines Verbrechen nach sich ziehen konnte. Wenn die Menge darauf drängte, nahm man den Gehängten manchmal auch ab und köpfte ihn. Dann wurde, wie in einem Anfall von Wahnsinn, der verstümmelte Leichnam an den Füßen wieder aufgehängt.
    Louise beobachtete François besorgt, aber das Kind hatte schon wieder andere Sachen im Kopf. Dann fiel ihr Blick auf Saint-Gelais. Ihr Freund

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