Die Seidenstickerin
möchte mich lieber ein bisschen in der Kutsche hinlegen. Framboise kann schon warten, bis wir zuhause sind.«
Sie sprang von ihrem Pferd und sagte müde, aber vergnügt:
»Ich habe es ihr erklärt, und sie versteht mich sehr gut.«
Dagegen konnte Anselme nichts mehr ausrichten und ihr auch nichts mehr verheimlichen. Aber das Kloster war bereits ein Stück weit weg, und das war wohl am wichtigsten. Ohne ein Wort beeilte er sich, ihr die Tür zu öffnen, und als Isabelle in ihrer Kutsche stand, stieß sie beim Anblick der verschüchterten, zitternden Alix einen überraschten Laut aus.
»Was macht denn, bitte, dieses Mädchen in meiner Kutsche?«
»Ich flehe Euch an, Gräfin, werft mich nicht raus«, bettelte Alix. »Ich bin aus dem Kloster geflohen.«
»Nun – dann fahren wir jetzt dorthin zurück«, gab ihr die junge Frau ruhig zur Antwort.
»Ach, bitte, Dame Isabelle!«, mischte sich nun Anselme ein. »Mir scheint, Ihr habt Eure ganzen schönen Erinnerungen an ein gewisses Kloster in Florenz vergessen, in das man Euch eingesperrt hatte.«
»War denn dieses junge Mädchen auch eingesperrt?«
»Ja«, antwortete Alix schüchtern, obwohl sie auch nicht zu ängstlich wirken wollte. »Man hat mich gezwungen, den ganzen Tag zu beten. Ich musste tagelang in der Kapelle auf den Knien beten. Seht selbst, wie abgewetzt meine Knie sind.«
Und dann hob sie ihr graues Baumwollkleid hoch und zeigte zwei wunderschöne runde weiße Knie. Da musste Isabelle lächeln.
»Du hast sehr schöne Knie, und sie sehen überhaupt nicht abgewetzt aus. Aber abgesehen davon ist es nur natürlich, dass dir die Nonnen gesagt haben, dass du oft beten sollst. Das ist schließlich ganz normal in einem Kloster.«
Sie musterte das Gesicht des jungen Mädchens eine Weile.
»Seltsam, irgendwie kommst du mir bekannt vor.«
»Ja, das stimmt, Gräfin. Wir kennen uns, deshalb habe ich ja auch Eure Kutsche für meine Flucht ausgesucht. Ich war in dem Konvoi der beiden Zofen von Königin Anne, mit dem damals drei Stickerinnen aus der Werkstatt von Meister Yann gereist sind. Wir kamen aus Nantes und …«
»Ah ja, jetzt weiß ich es wieder«, unterbrach sie Isabelle beinahe vergnügt. »Du warst so großzügig, mir Platz unter deiner Decke in der Kutsche zu machen, damit ich Dame Bertrande nicht über den Weg laufen musste.«
»Und am nächsten Morgen wart Ihr verschwunden.«
Alix erholte sich allmählich, und ihr Gesicht bekam wieder etwas Farbe.
»Und dann habe ich Euch nie wieder gesehen.«
»Ja, ich weiß«, sagte Isabelle und zuckte die Schultern. »Ich wollte damals nur kurz Jacquou sehen und ihm adieu sagen, ehe er zu seiner Lehrstelle aufbrach. Kannst du dich an den Jungen erinnern? Ach was, jetzt hätte ich beinahe vergessen, dass du dich ja in einer Kutsche versteckt hattest! Da kannst du nicht viel von ihm mitgekriegt haben.«
»Jacquou«, sagte Alix leise und staunte, dass Isabelle diesen Namen aussprach, über den sie alles wissen wollte. Jacquou … »Ob ich mich an ihn erinnere? Natürlich! Er hat mir von einer Isabelle erzählt, das war … seine Schwester.«
»Ja, das stimmt, das bin ich.«
»Was! Ihr seid Jacquous Schwester? Ich glaube, ich werde ohnmächtig«, stöhnte Alix und sank in Isabelles Arme.
»Anselme! Komm her und hilf mir. Wir müssen die Kleine auf die Bank legen.«
»Nein, nein«, sagte Alix, die wieder zu sich kam. »Ich muss unbedingt wach bleiben. Ich will nämlich wissen, wo Jacquou ist.«
»Aber warum denn?«
»Weil ich ihn wiedersehen will.«
»Kannst du mir bitte mal erklären, wieso. Vielleicht antworte ich dann auch.«
»Weil wir uns lieben.«
Anselme brach in Gelächter aus. Aber Isabelle forderte ihn auf weiterzufahren und erklärte ihm auch, warum:
»Hast du vergessen, dass wir nur wenige Meilen von Amboise entfernt sind? Wenn wir dieser Kleinen bei ihrer Flucht helfen wollen, sollten wir besser zusehen, dass wir hier wegkommen.«
Alix seufzte erleichtert.
»Oh danke!«, rief sie und nahm Isabelles Hand. »Das vergesse ich Euch nie.«
Die Gräfin wollte sich damit nicht aufhalten und kam auf ihre vorige Frage zurück.
»Du sagst, ihr liebt euch. Aber Jacquou ist erst sechzehn; und wie alt bist du?«
»Ich bin zwölf.«
Über diese freimütige Antwort musste Isabelle unwillkürlich lächeln.
»Was willst du denn machen, wenn du nicht mehr im Kloster bist?«
»Ich möchte mit Jacquou in einer Weberwerkstatt arbeiten.«
»Dann willst du also Teppichweberin werden?«
»Ich will auf
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