Die Seidenstickerin
jeden Fall mit ihm arbeiten. Als meine Mutter starb, hat man mich in Meister Yanns Werkstatt gebracht. Wenn Gaëlle, Eloise und Annette damals nicht nach Amboise gegangen wären, wäre ich bestimmt bereits die beste Stickerin von ganz Nantes. Jetzt will ich aber Weberin werden wie Jacquou.«
»Jacquou, immer Jacquou! Kannst du nichts anderes sagen?«
»Das stimmt, ich kann nichts anderes sagen.«
»Was hältst du davon, wenn du zu Meister Yann nach Nantes zurückgehst? Er nimmt dich bestimmt wieder.«
»Nein«, sträubte sich die kleine Alix. »Ich will die gleiche Arbeit machen wie Jacquou! Wie geht es ihm?«
»Weißt du eigentlich, dass du ziemlich stur bist, meine Kleine? Ich habe eine Tochter in deinem Alter, sie heißt Constance und ist genauso dickköpfig wie du. Sie hat sich in den Kopf gesetzt, dass sie nach Italien will.«
Diese vertraulichen Geschichten schienen Alix aber nicht zu interessieren, weil sie nur hartnäckig ihre Frage wiederholte:
»Wie geht es Jacquou?«
»Er ist gerade mit seiner Lehre fertig.«
»Oh! Wo arbeitet er jetzt?«
»In Tours, in der Werkstatt von Meister Coëtivy.«
Endlich hatte sie erfahren, was sie wissen wollte! Meister Coëtivy besaß so viele Werkstätten, im Val de Loire, in Paris und im Norden, dass sie ihren Geliebten ohne diesen Hinweis wohl kaum hätte finden können.
»Wird er dort bleiben?«, fragte sie dann noch.
»Ja, wenigstens so lange, bis er die Arbeit fertig gestellt hat, die er der Webergilde im Norden vorstellen will.«
»Und wie lange braucht er noch, bis er damit fertig ist?«
Isabelle zuckte die Schultern.
»Das weiß ich nicht so genau. Vielleicht sechs oder sieben Monate.«
Alix lächelte glücklich. Plötzlich kam es ihr so vor, als wäre Jacquou gar nicht mehr so weit weg. Und endlich wusste sie alles, damit sie sich auf die Suche nach ihm machen konnte.
An diesem Tag war Meister Coëtivy nicht in Tours.
»Räum die Wollballen auf, Aubert!«, rief Gauthier.
Es war noch früh, und in der Werkstatt hatte man eben erst mit der Arbeit begonnen, aber da klapperten schon die Webstühle, und keiner ließ sich von überflüssigem Geschwätz ablenken. Doch weil es Thibaud immer ein diebisches Vergnügen bereitete, Aubert zu ärgern, rief er jetzt: »Er hat sein Karree noch nicht fertig gewebt.«
Jacquou sah sich den Teppich an, an dem die Lehrlinge arbeiteten. Es war eine relativ leicht auszuführende Fläche – klein, viereckig, ohne Einfassung und aus einem Stück, mit ineinander verschlungenem Blattwerk und Vögeln. Die Arbeit war auf Kettenfäden aus Wolle gespannt, der Schuss war aus Leinengarn.
»Ich muss nur noch den Schnabel von dem Falken fertig machen«, sagte Aubert und warf seinem Kameraden einen finsteren Blick zu. »Das kann ich aber auch erledigen, wenn ich die Wollballen aufgeräumt habe.«
Jacquou sah den jungen Aubert an und erkannte an seinen funkelnden Augen, dass es noch einen anderen Grund gab als den Schnabel von seinem Vogel, weshalb er die Wollballen in den Schuppen neben dem Pferdestall räumen wollte. Er wollte sich nämlich ein wenig die Füße vertreten und vor allem nach den Pferden sehen. Jacquou hatte sich schon öfter gefragt, warum Auberts Vater ihn zu einer Lehre zwang, die ihm eigentlich gar nicht zusagte, und die er deshalb nur lustlos und widerwillig absolvierte.
»Also gut, geh sie aufräumen, aber komm gleich wieder. Du musst deine Arbeit fertig machen. Wie ich sehe, fehlt dir wirklich nur noch der Falkenschnabel. Aber du solltest einen Goldfaden nehmen, damit er schöner glänzt.«
Aubert nickte, aber Landry hatte wieder etwas einzuwenden:
»Er hat doch noch nie mit Goldfäden gearbeitet. Soll ich es vielleicht für ihn machen?«
»Meinetwegen, aber bring es ihm gleich bei. Ich will sehen, was ihr da zustande bringt.«
Die Arme voller Wollballen verließ Aubert die Werkstatt, hatte aber so viele auf einmal genommen, dass immer wieder welche auf den Boden fielen und er sich nach ihnen bücken musste.
Im Schuppen bemühte er sich dann aber schon, die Ballen ordentlich aufzuräumen und wollte nur noch ganz kurz in den Stall und nach den Pferden sehen, ehe er in die Werkstatt zurückging.
Als er aber durch das kleine Fenster in der Tür sah, das den engen, vollgestellten Raum spärlich beleuchtete, entdeckte er dahinter einen Frauenkopf. Erstaunt ließ er die Ballen sein und ging vor die Tür, wo er beinahe mit einem jungen Mädchen zusammengestoßen wäre, das ihn mit honigfarbenen Augen
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