Die Seidenstickerin
ehe es Abend wurde. Sie strich sich mit der Hand über ihren gerundeten Bauch, seufzte leicht und machte sich wieder konzentriert an die Arbeit.
Hinter den Frauen standen Thibaud, Landry und Aubert, der Jüngste von den dreien, und sortierten die schadhaften oder nicht ausreichend gefärbten Wollfäden aus.
Arnold warf einen Blick auf die leeren Kartons, die die Zeichner für ihre Entwürfe benötigten und die unordentlich herumlagen. Er wandte sich an den jüngsten Lehrling und deutete mit dem Finger auf die Kartons.
»Sortier die Kartons, und räum sie in die Kammer, Aubert. Wie schaut das denn aus, wenn sie überall verstreut liegen?«
»Ja«, antwortete Aubert, »das mache ich, sobald ich diesen Schussfaden repariert habe.«
»Seit wann bist du denn schon daran?«, fragte Arnold missbilligend.
Er beugte sich über den jungen Mann, der vergeblich versuchte, mit seinen ungeschickten Fingern die beiden Enden zu verbinden, die sich aber trotz all seiner Anstrengungen nicht zusammenknoten lassen wollten.
»Wenn du den Faden so hältst, schaffst du es nie. Schau her, ich zeig’s dir.«
»Gauthier hat aber gesagt, dass er sein Karree fertig machen soll«, mischte sich jetzt Landry ein, der neben ihm arbeitete.
»Damit bin ich schon fertig«, widersprach Aubert.
»Das stimmt doch gar nicht«, gab Landry zurück, »dabei kommt in wenigen Tagen der Prüfer.«
Bei den Teppichwebern war es nämlich Brauch, dass ein Gutachter kam, um zu überprüfen, ob die Arbeit sachgemäß ausgeführt war, ehe sie dem Käufer geliefert wurde. Er kontrollierte den Gesamteindruck, die Färbung der verwendeten Wolle, die Struktur und ihre fehlerlose Ausführung, die, wenn sie von einem Hochwebstuhl kam, aus einem einzigen Stück sein musste, ohne Verbindungen oder irgendwelche anderen Brüche.
»Landry hat Recht«, meinte Arnold und nahm dem jungen Mann den Metallfaden aus der Hand, »dafür bist du einfach nicht geschickt genug. Bring ihn Jacquou, der repariert ihn dir im Handumdrehen. Und dann kommst du und hilfst mir, die Wollballen zu ordnen.«
Alix wartete nun schon seit mehr als einer Woche auf die Gelegenheit, aus dem Kloster der Barmherzigen Schwestern zu fliehen. Diesmal hatte sie ihre Flucht so gut vorbereitet, dass sie sich bestimmt nicht wieder so dumm erwischen lassen würde wie beim vorigen Mal. Seit dem letzten gescheiterten Versuch, dessen Folgen sich als verheerend erwiesen hatten, hatte sie nämlich ganze Nächte damit zugebracht, einen perfekten Fluchtplan auszuarbeiten.
Weil sie an Jacquou dachte, wollte sie aus dem Kloster fliehen. Ja! An den Jacquou, in den sie sich mit acht Jahren unsterblich verliebt hatte!
Um das zu verstehen, musste man die Zeit vier Jahre zurückdrehen. Vier lange Jahre, die Alix im Kloster der Barmherzigen Schwestern verbracht hatte, obwohl sie die ganze Zeit nur davon träumte, wieder in einer Werkstatt arbeiten zu dürfen und vor allem den Mann wieder zu finden, an den sie Tag für Tag mit Sehnsucht im Herzen dachte.
Vier Jahre war es bereits her, dass der kleine Konvoi der beiden Zofen von Königin Anne das Ufer der Loire in Nantes hinter sich gelassen hatte, um an den Hof von Amboise zurückzukehren. Vier Jahre, in denen für Alix alles schiefgegangen war und in denen sie die Barmherzigen Schwestern insgeheim verflucht hatte.
Vier Jahre, in denen das Schicksal von Jacquou, der nie erfahren hatte, welch dramatische Entwicklung das Leben von Alix genommen hatte, in seinen geordneten Bahnen verlief. Was wusste er eigentlich über das traurige Los des kleinen Mädchens? Wusste er überhaupt, dass die Königin alle ihre Aufträge ruhen ließ, solange sie auf die Zustimmung der Kirche wartete, dass der König seine Frau verstoßen durfte? Die drei Stickerinnen, die Alix mitgenommen hatten, fanden sich ohne jeden Beistand in einer fremden Stadt wieder und konnten so auch nicht die Verantwortung für sie übernehmen.
Eloise und Gaëlle waren im Val de Loire geblieben, aber ohne den Rückhalt durch die Königin verdienten sie nur mäßig. Annette war lieber wieder nach Nantes zurückgegangen. Und Alix? Die hatte man in eine Kutsche gekauert entdeckt, die sie um keinen Preis verlassen wollte, und, weil sie ein Waisenkind war, ohne lange nachzufragen in den nächstgelegenen Konvent gesteckt, nämlich in das Kloster der Barmherzigen Schwestern in der Nähe von Amboise.
Wie hätte es Alix im Kloster gefallen sollen, wo sie doch nur daran dachte, wie sie ihren Jacquou wiederfinden
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