Die Seidenstickerin
Ihr mich dann noch lange nicht los seid!«
In Gedanken schmiedete sie bereits Pläne für ihre Rückkehr nach Tours. Wie hatten sie und Jacquou nur so ahnungslos und gutgläubig sein können zu meinen, sie würden sich bei Dunkelheit in dem kleinen Schuppen von der Werkstatt in Tours wiedersehen?
Jacquou erfuhr nie, was geschehen war; und zum zweiten Mal verloren sie sich aus den Augen.
Auch wenn er Aubert immer wieder fragte – der Junge schwor, dass er mit dem geheimnisvollen Verschwinden nichts zu tun hatte. Erst viel später und durch einen dummen Zufall verriet ihm Arnold, dass sich die beiden Webermeister damals abgesprochen hatten – und da verdächtigte er sofort seinen Vater.
5
Der große Waffensaal von Schloss Doué-de-la-Fontaine im Anjou bot ausreichend Platz für einen ganzen Truppenaufmarsch, wie zu Zeiten von Graf Georges de La Trémoille, als der die Verschwörer des »Verrückten Kriegs« gejagt hatte. Sein Sohn Julien zog allerdings mittlerweile Jagden und endlose Ausritte den langweiligen herrschaftlichen Empfängen vor.
Constance warf ihrer Mutter einen finsteren Blick zu, den Isabelle aber ignorierte. Sie tat so, als wäre sie ganz in eine illustrierte Handschrift vertieft, in der sie schon länger blätterte.
Ihr Bruder Olivier, der im Gegensatz zu Constance Streitereien verabscheute, verließ den Raum und zog sich in den Stall zurück zu Horace, seinem stolzen weißen Araberpferd.
Deshalb wartete Constance nun auf Hochwürden Jean de Villiers, ehe sie einen neuen Vorstoß in dieser Angelegenheit unternahm, die alle etwas unangemessen fanden.
»Was soll ich nur machen, Jean?«, rief sie. »Wie kann ich meine Mutter doch noch dazu bringen, dass sie mir erlaubt, dich nach Rom zu begleiten?«
»Genug jetzt, Constance, wir fahren nicht.«
»Dann lass mich doch allein mit Jean fahren.«
Jean seufzte hilflos, als er sah, wie das junge Mädchen seine Mutter mit zornigen Blicken durchbohrte.
»Wir können Constance nicht nach Italien reisen lassen, Jean«, kam ihm Isabelle sofort zuvor. »Schließlich ist sie noch ein Kind.«
»Ich bin kein kleines Mädchen mehr!«, schrie Constance. »Außerdem warst du in meinem Alter schon längst unterwegs, wie du wohl noch wissen dürftest. Und was viel schlimmer war! Du warst allein, während ich mit Jean fahren würde.«
»Das stimmt nicht, Constance! Ich war nicht allein. Der Herzog von Orléans, der jetzige König von Frankreich, hatte mich mit einer Delegation mitgeschickt, und seine Gefolgsleute hatten sehr wohl ein Auge auf mich.«
»Dann gib mir eben auch Leute mit: Anselme, deinen Kutscher, Elisa, die Kammerzofe. Carla wäre bestimmt begeistert, wenn sie ihre Heimat wiedersehen dürfte. Und in Rom hat Jean doch schließlich …«
»Hör auf, ständig Jean vorzuschieben. Du vergisst, dass er nicht zu seinem Vergnügen im Vatikan ist; und du hast da gar nichts verloren. Außerdem kann er nicht dauernd auf dich aufpassen.«
Sie wollte auf ihre Tochter zugehen und ihr zärtlich über die Wange streichen. Aber Constance ließ es nicht zu und stieß die Hand ihrer Mutter unwirsch zurück.
»Wieso soll er denn überhaupt auf mich aufpassen?«
Nun wurde Isabelle lauter.
»Du fährst nicht, Constance, und damit basta.«
Das junge Mädchen sah seine Mutter zornig an und entgegnete herausfordernd.
»Doch, Mutter, ich fahre mit Jean.«
»Nun, mein Kind, dann zwingst du Jean eben, dir selbst zu sagen, dass er dich nicht mitnehmen kann.«
Jean mochte es nicht, wenn Mutter und Tochter stritten, und fühlte sich jetzt ziemlich unbehaglich. Was konnte er schon sagen, ohne entweder die eine oder die andere zu verletzen?
»Constance«, begann er und nahm ihre Hand, »ich kann dich wirklich nicht mitnehmen, wenn deine Eltern dagegen sind.«
»Ach was, Jean, was heißt hier meine Eltern! Abgesehen von meiner Mutter, von welchen Eltern sprichst du denn? Ich kenne meinen Vater gar nicht.«
»Jetzt ist es aber genug, Constance«, wies sie Isabelle zurecht, »Julien hat dich aufgezogen.«
»Er hat mich nicht aufgezogen, er hat mich nur geduldet, und das weißt du auch.«
Was hätte Isabelle dagegen einwenden sollen? Constance hatte leider Recht. Und eben deshalb konnte sie auch nicht nach Italien zurückkehren, ohne Juliens Zorn heraufzubeschwören.
Um das zu verstehen, musste man allerdings viele Jahre zurückgehen. In die Zeit, als sie ihren kleinen Bruder Jacquou kennen gelernt hatte, den Sohn von Meister Coëtivy, dessen Liebesgeschichte
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